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Interview mit Markus Sauerhammer

„In vielen Bereichen ist Crowdfunding in Deutschland noch nicht ansatzweise angekommen“

Markus Sauerhammer
Im Gespräch mit crowdfunding.de erläutert Markus Sauerhammer, warum Sozialunternehmertun und Crowdfunding gut zusammenpassen. Er argumentiert, dass beides gemeinsam einen Beitrag zur Lösung aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen leisten können. Markus hat die letzten Jahre als Gründungsberater bei der IHK München und als Leiter Kooperationen bei der Plattform Startnext gearbeitet. Mittlerweile ist er im Vorstand des neu gegründeten „Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND)“ und als „Tellerrandspringer“ zu neuen Abenteuern unterwegs.
Von Redaktion am 03. Mai 2018

crowdfunding.de: Was begeistert Dich an Crowdfunding?

Markus Sauerhaummer: Crowdfunding kann die größte Herausforderung von Gründern lösen. Die meisten Gründer scheitern am Markt und nicht an der Finanzierung. Beim reward-based Crowdfunding steht der Nutzen für Verbraucher im Mittelpunkt. Die Kunden, deren Akzeptanz den langfristigen Erfolg am Markt sichert, entscheiden direkt darüber ob ein Projekt finanziert wird. Bei einer klassischen Bankfinanzierung stellt das Marktpotential, also der konkrete Nutzen für die Verbraucher, meist nur eine Annahme dar.

Auf einer Skala von 1 bis 10, inwieweit ist Crowdfunding in Deutschland mittlerweile angekommen?

Wenn man sich das Potential anschaut, haben wir bislang nicht einmal die 1 erreicht. In vielen Bereichen ist Crowdfunding in Deutschland noch nicht ansatzweise angekommen. Damit meine ich zum Beispiel den B2B-Bereich, also Crowdfunding für Geschäftskunden, das „Civic Crowdfunding“ oder Kampagnen von etablierten Unternehmen für ihre Produktinnovationen.

Warum sind wir in Deutschland so hinterher in Bezug auf Crowdfunding?

Weil die Politik vergangenheitsorientierte Förderung betreibt. An den entscheidenden Schaltstellen sitzen Leute, die die analoge Zeit verteidigen. UK ist da zum Beispiel deutlich weiter. Über das Nesta Programm wird dort nicht nur Forschung finanziert, sondern Innovationskultur direkt gefördert. In London ist „Civic Crowdfunding“ mittlerweile angekommen, dort gibt die öffentlichen Hand Anreize um die Leute ins „Doing“ zu bekommen.

Liegt es nicht vielmehr an der Crowd selbst ins „Doing“ zu kommen, anstatt auf die Politik zu schauen?

Das funktioniert in einer Welt, in der der Staat nicht in den Markt eingreift. Der Staat subventioniert aktuell andere Förderungswege, die dadurch Crowdfunding gegenüber einen Vorteil haben. Natürlich ist es nicht die alleinige Schuld der Politik. Wir brauchen alle mehr Mut die digitale Zeit zu gestalten. Wichtig sind aber die Rahmenbedingungen.

Sind die Deutschen bei neuen Wegen grundsätzlich zurückhaltender und vorsichtiger?

„German Angst“ ist ein fester Begriff in der internationalen Gründerszene. Wir haben eine ausgeprägte Sicherheitsorientierung in Deutschland. Aber gerade Crowdfunding ermöglicht es ja bei neuen Vorhaben mehr Sicherheit zu bekommen. Man muss die Stärken der alten Finanzierungswelt mit den neuen Möglichkeiten der digitalen Finanzierung vereinen. Co-Funding ist hier das Stichwort.

Welche konkreten Forderungen hast Du an die Politik in Bezug auf Crowdfunding?

Öffentliche Fördermaßnahmen sollten mit Crowdfunding kombiniert werden. Dadurch ist man deutlich näher am Bürgerwillen und damit am Bedarf, als bei der alleinigen Zuteilung von Mitteln über zentrale Förderinstitutionen.

Wenn die Politik es mit der Etablierung einer Gründungs- und Innovationskultur wirklich ernst meint, könnte Sie die Umsatzsteuer auf Produkte in Crowdfunding-Kampagnen erlassen, die Innovationen realisieren wollen.

Viele Gründungen und Crowdfundings scheitern aufgrund mangelnder Vorbereitung. Eine Bezuschussung von Beratungsangeboten wäre also wirklich sinnvoll. Als erste deutsche Stadt vergibt München mittlerweile einen Zuschuss für die Vorbereitung von Crowdfunding-Kampagnen.

Die Regierung sollte selbst Crowdfunding zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen einsetzen. Sie könnte die Lösungsfindung für aktuelle Probleme öffentlich ausschreiben. So würde man die Bürger mit ihren Ideen direkt einbinden und den gesellschaftlichen Wandel gemeinsam gestalten.

Du bist im Vorstand des kürzlich neu gegründeten „Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V.“. Was verstehst Du unter Social Entrepreneurship?

Dahinter steht der Transfer des Gedankens der Sozialen Marktwirtschaft in das digitale Zeitalter. Der Kerngedanke ist ja, dass die Gesellschaft als Ganzes vom Fortschritt profitiert. Bei Sozialunternehmen stehen die gesellschaftlichen Mehrwerte im Mittelpunkt und nicht der Shareholder Value. Sozialunternehmer lösen die großen gesellschaftlichen Herausforderungen mit den Methoden des 21. Jahrhundert. Zudem gibt es viele Potenziale in Aufgabenbereichen von Wohlfahrt und öffentlichen Institutionen soziale Innovationen zu realisieren.

Wo liegen die Schnittmengen zwischen Crowdfunding und Social Entrepreneurship?

Wir stehen mit der Digitalisierung vor einer riesigen Umbruchphase. Vergleichbar mit der Industrialisierung zu Beginn des letzten Jahrhunderts. In solchen Umbruchphasen muss man die Bevölkerung mitnehmen. Veränderungsprozesse kann man nicht von oben aufsetzen. Social Entrepreneure packen gesellschaftlichen Probleme an und über Crowdfunding kann jeder daran teilhaben.

Siehst Du nicht die Gefahr, dass sich manche Gründer lediglich aus Imagegründen als Sozialunternehmer bezeichnen?

Ja, das kann natürlich passieren. Deshalb brauchen wir neue Rechtsformen für Social Startups. Der Unternehmenszweck und das was mit Gewinnen geschieht muss klar geregelt sein. Es gibt Modelle wie Genossenschaften und Purpose Companies. Es ist aber entscheidend, dass soziale Firmengründungen im digitalen Zeitalter rechtssicher und unkompliziert möglich werden. Hier versucht die Politik es aktuell nicht einmal die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen.

Welche Forderungen hast Du an die Politik in Bezug auf Social Entreprenurship?

Erstens: Klare Ansprechpartner bei den Ministerien und Fraktionen. Zweitens: Bereitstellung von Chancenkapital für soziale Innovationen. Drittens: Aufbau einer sozialen Innovationsstrategie für Deutschland.

Wie kann der gesellschaftliche Wandel sozialverträglich gestaltet werden?

Es gibt zwei Wege die Leute auf dem Weg in die Zukunft mitzunehmen. Entweder über inspirative Menschen. Oder dann, wenn der Druck auf die Menschen so groß wird, dass Veränderungen unvermeidbar sind.

In der deutschen Politik haben wir aktuell niemanden, der die Menschen für diesen Veränderungsprozess inspiriert. Und in der Gesamtheit geht es den Menschen in Deutschland momentan so gut, dass die Breite der Gesellschaft nicht in Bewegung kommt. Dadurch verschlafen wir aktuell die Chance, den Wandel, der unfraglich kommen wird, sozialverträglich und nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Man braucht ja nur in Länder zu schauen wo es inspirative Politiker gibt oder die wirtschaftliche Not die Menschen zum Handeln zwingt. Da finden Veränderungsprozesse statt, da wird Zukunft gestaltet.

In Deutschland braucht es Transformationshelfer aus der Zivilgesellschaft: Sozialunternehmer und inspirative Vorbilder. Bei all den Herausforderungen unserer Zeit sind die Potenziale enorm. Interessant sind für Sozialunternehmer vor allem Bereiche, in denen Druck hierzulande schon jetzt hoch ist, wie z.B. demografischer Wandel, Pflege, Integration oder Bildung.

Wichtig ist auch, dass sich die etablierten Akteure unseres Sozialstaates, wie z.B. Gewerkschaften, öffentliche Institutionen oder die klassische Wohlfahrt, dem digitalen Wandel stellen. Hier streben wir eine enge Zusammenarbeit an und wollen gemeinsam Zukunft gestalten.

Laut Dr. Louis Klein bietet Sozialunternehmertum keine gesellschaftliche Lösung, da es eine private und damit eine exklusive Lösung sei. (Agora42 Magazin 01/2018Er argumentiert, dass nur diejenigen, mit deren Not und Probleme sich Erträge erwirtschaften lassen, in den Genuss einer Lösung kämen, während alle anderen außen vor bleiben. Was sagst Du dazu? 

Solche Vorbehalte höre ich oft. Dazu hatte ich auch schon mit ihm persönlich diskutiert. Ich glaube er setzt hier ein völlig anderes Verständnis von Social Entrepreneurship voraus. Hinter dem Thema versteckt sich viel mehr als „klassische Geschäftsmodelle“. Viele der Akteure sind in Bereichen tätig, die klassisch von der Wohlfahrt, Politik oder öffentlichen Institutionen gelöst werden. In all diesen Bereichen haben wir einen großen Innovationsstau. Wir werden die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mit den Werkzeugen des letzten Jahrhunderts lösen. Echte Innovationen entstehen zudem meist außerhalb etablierter Strukturen. Social Startups können für diese Akteure als Innovationsbeschleuniger dienen.

Ich finde es übrigens ganz interessant, wie stark die Einstufung vom dem jeweiligen Gesprächspartner abhängt. Eine Geschichte hat mich besonders zum Nachdenken gebracht: Als wir mit einer Partei an einem Papier zu sozialen Innovationen gearbeitet haben, sagte irgendwann ein Mitarbeiter: „Ihr seid ja fast wie damals die Grünen. Auch da hat man Herausforderungen gesehen, die die damalige Parteienlandschaft nicht angeht. Anstatt eine Partei zu gründen macht ihr euch einfach an die Lösungen.“ Verkürzt würde ich sagen, dass Social Entrepreneurs sich darauf konzentrieren Fehler im System zu suchen und deren Lösung mit Innovation und Unternehmergeist angehen.

Markus, Du hast nach mehreren Jahren bei Startnext gekündigt um Dich neuen Abenteuern zu widmen – was ist Dein Plan jetzt?

Ich habe mir ein „Impact Sabbatical“ genommen. Mich begeistern die Potenziale durch den digitalen Wandel sowie die Gestaltungskraft von Startups als Treiber dieses Transformationsprozesses. Gleichzeitig bereitet mir unsere aktuelle gesellschaftliche Entwicklung große Sorge. In der Vergangenheit haben wir solche Umbruchphasen nie gut gemeistert. Wir müssen nicht wieder die gleichen Fehler machen. Ich will mich darauf fokussieren die Chancen des Fortschritts für die Lösung unserer gesellschaftlichen Herausforderungen einzusetzen. Die Politik wird es alleine nicht schaffen. Da sind wir alle gefragt!

Vielen Dank für das Interview und ein erfolgreiches Impact Sabbatical!

Kontakt Markus Sauerhammer
Blog: www.tellerrandspringer.de | Soziale Netzwerke: Facebook | Twitter | Linkedin | Xing

Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V.
www.send-ev.de

Nesta Report UK „Matching the Crowd”
PDF-Download

 

Titelfoto: Markus Sauerhammer ©Startnext Fotograf: Kristoffer Schwetje

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Autor
Redaktion
Datum
03. Mai 2018
Themen
Gründen, Social Entrepreneurship, Startup
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