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Interview mit Crowdfunding-Expertin Ilona Orthwein

„Ich merke immer wieder, dass es viel Informationsbedarf zum Thema gibt“

Ilona Orthwein arbeitet als Unternehmensberaterin in Berlin. Sie berät mittelständische Unternehmen zu Finanzierungsfragen, Marketing und Organisationsentwicklung. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat sich Ilona Orthwein zur Crowdfunding-Expertin weiterentwickelt. Im Sommer 2014 veröffentlichte Sie ein Buch zum Thema Crowdfunding. Im Interview mit crowdfunding.de berichtet die Autorin über Ihre Erfahrungen mit Crowdfunding.
Von Redaktion am 03. November 2014

crowdfunding.de: Sie arbeiten als Unternehmensberaterin und sind Autorin eines Buchs zum Thema Crowdfunding. Wie sind sie zum Thema Crowdfunding gekommen?

Ilona Orthwein: Ehe ich mich 2003 als Beraterin selbstständig machte, war ich über zwölf Jahre im internationalen Bankgeschäft tätig, habe Unternehmens- und Projektfinanzierungen begleitet. So war es eigentlich nur logisch, dass die Finanzierungsberatung einer meiner Beratungsschwerpunkte ist.  Das Spektrum der Finanzierungsmethoden ist breit. Da muss man auf dem Laufenden bleiben. Auch die Beschäftigung mit alternativen Finanzierungsformen steht selbstverständlich auf meiner Agenda. So kam ich dann vor einigen Jahren zum Crowdfunding.

Was fasziniert sie am Thema Crowdfunding? Wo sehen sie Vorteile dieses Finanzierungsmodells?

Wie wunderbar Crowdfunding für ein Unternehmen funktionieren kann, bewies mir eine Berliner Jungunternehmerin vor zwei Jahren. Durch eine Crowdfunding-Kampagne finanzierte sie nicht nur ihren Geschäftsaufbau, sondern band im Rahmen der Kampagne „ihre“ Crowd erfolgreich in die Angebotsentwicklung ein und sorgte so auch für eine nachhaltige Kundenbindung  –  und  das alles sehr preiswert und sehr effizient über die neuen Medien.

Ilona Orthwein
Ilona Orthwein

Indem Anbieter bzw. Produzenten und Konsumenten in einem solchen Prozess zusammen kommen, passiert mehr also mehr reine Finanzierung: Konsumenten werden zu Prosumenten und können das Marktgeschehen in ihrem Sinne beeinflussen. Das bietet Chancen für eine echte Gemeinwohlökonomie. Wenn nicht mehr etablierte Kreditinstitute und ähnliche Geldgeber auf Basis ihrer Markteinschätzungen und persönlichen Profitorientierung entscheiden, was wie finanziert wird, sondern die Menschen, denen die Waren- und Dienstleistungsangebote zugute kommen, verändern sich Märkte. Darin liegt die große Chance von Crowdfunding.

Unternehmen bietet Crowdfunding den unschlagbaren Vorteil, Produkte und Dienstleistungen bedarfsgerechter zu entwickeln. Die Crowd liefert hier zuverlässigere Ergebnisse als übliche Zielgruppen-Befragungen, denn wer sich finanziell für das Zustandekommen eines Produktes oder eines Dienstleistungsangebot einsetzt, macht nicht nur eine Aussage, sondern ein echtes Commitment.

Sie beraten Start-ups und mittelständischen Unternehmen, mit welchen Fragestellungen zum Thema Crowdfunding sehen Sie sich hauptsächlich konfrontiert? Wo sind die größten Unklarheiten, die größten Fallstricke, wo sehen Sie die größten Fehlinformationen?

Die Crowdfunding-Welt ist ziemlich komplex, die englischen Begriffe sind oft verwirrend, und wenig geläufige  Finanzierungs-Konstrukte spielen gerade dort, wo das meiste Geld fließt, eine Rolle. Insofern ist es kein Wunder, dass man hier oft Halbwissen und Missverständnissen begegnet – und dass nicht nur bei Klienten, auch unter Beraterkolleginnen und – kollegen. Crowdfunding ein neues Terrain. Ich brauchte auch Zeit und musste viel recherchieren, um mir ein entsprechendes Fachwissen anzueignen.

Durch seine große Popularität weckt Crowdfunding leider auch manche unrealistische Erwartung. Denn auch wenn heutzutage fast jede(r) – vom Schulkind bis zur Ur-Omi –  gelegentlich online somit eigentlich Mitglied der Internet-Crowd ist, kann eine Crowdfunding-Kampagne immer nur bestimmte Zielgruppen erreichen. Auch eignet sich nicht jedes Projekt für diese Finanzierungsform und nicht jedes unternehmerische Vorhaben sollte im „Netz, das nichts vergisst“ ausgebreitet werden.

Ein unzulänglich vorbereitetes Funding kann außerdem unter Umständen mehr Schaden als Nutzen bringen. Nach meinen Recherchen erreicht etwa die Hälfte aller Fundingkampagnen im „reward based“ Sektor nicht ihr Ziel und ein nicht unbeträchtlicher Teil – gerade bei den Start-up-Unternehmen sind es bis zu 90% – übersteht trotz gelungenem Funding nicht die Gründungsphase, also die ersten drei bis fünf Jahre. Insofern empfiehlt es sich immer das große Ganze zu betrachtet.

Was raten Sie Gründern und Mittelständlern die Ihre Unternehmung über Crowdfunding finanzieren möchten?

Wenn ich mit einem Klienten in einen Beratungsprozess einsteige, wird das Unternehmens- bzw. Projektkonzept zunächst einer kritischen Betrachtung unterzogen, Knackstellen werden aufgedeckt und Lösungen erarbeitet. Diese Vorgehensweise ist generell zu empfehlen. Wer sich eine solche Konzept-Beratung nicht leisten kann oder will, kann diese beispielsweise auch im Rahmen von Businessplan-Wettbewerben erhalten. Zudem gibt es geförderte Beratungen. Ob sich eine der Crowdfunding-Methoden zu Unternehmensfinanzierung eignet und welche, wie und wann sie durchgeführt werden sollte, wird ist relativ leicht zu entscheiden, wenn das Konzept gut ausgearbeitet ist.

Auch wenn Crowdfunding attraktiv scheint, kann es durchaus –  je nach Projektanliegen – noch bessere Finanzierungsmethoden geben.  Fällt die Entscheidung jedoch für Crowdfunding, wird eine passende Kampagne konzipiert. Auch das ist, wenn ein belastbares Unternehmenskonzept vorliegt, keine schwierige Aufgabe mehr. Entsprechendes gilt übrigens auch für andere Finanzierungsformen: auch für VC-Pitches oder Bankgespräche lassen sich gut absolvieren, wenn das Unternehmenskonzept vorab „auf Herz und Nieren“ geprüft wurde. Ein Crowdfunding-Pitch-Deck letztlich ist ziemlich schnell formuliert, ebenso wie ein passendes Drehbuch für das übliche Kampagnen-Video.

Zu Ihrem Buch, das Sie zum Thema Crowdfunding geschrieben haben: Was hat Sie angetrieben dieses Buch zu schreiben, und was können die Leser von Ihrem Buch erwarten?

Seit ungefähr zirka drei Jahren boomt Crowdfunding bekanntlich bei uns, und die meisten Leute, haben den zumindest den Begriff schon mal irgendwo gehört oder gelesen. Ich merke jedoch immer wieder, dass es viel Informationsbedarf zum Thema gibt. Allgemeines  Finanzwissen ist bei uns leider nicht sehr verbreitet, und beim Crowdfunding gibt es einiges zu beachten – auch rechtlich – was nicht gerade trivial ist.

Buch von Ilona Orthwein
Buch von Ilona Orthwein

Da ich der Meinung bin, dass Menschen, wenn sie sich für Crowdfunding in irgendeiner Form entscheiden, dies bewusst angehen sollten, versuche ich meinen Beitrag zu leisten, indem ich mein Wissen teile, also berate, schreibe und referiere ich zu Crowdfunding. So ist zwischen dem Sommer 2013 und dem Frühjahr 2014 mein kleines Buch „Crowdfunding – Grundlagen und Strategien für Kapitalsuchende und Geldgeber“ entstanden.

Ich denke, dass man den Dingen auf den Grund gehen muss, wenn man sie richtig verstehen will, so bin ich mit der Frage, was die Crowd eigentlich genau ist, ins Thema gestartet. Ich habe dann erörtert, unter welchem Rahmenbedingungen Crowdfunding sich entwickelt hat, worin sich die einzelnen Formen unterscheiden. Dann wird aufgezeigt, welche Chancen sich durch diese Finanzierungsformen auftun können, aber auch welche Risiken und Pflichten damit einhergehen. Komplizierte Fachbegriffe versuche ich allgemein verständlich zu erläutern. Ich gebe auch einen Überblick über die Crowdfunding-Szene und die Plattformen, so wie sie bis zum Mai 2014, als ich das Manuskript fertigstellt habe, im D-A-CH-Raum präsentiert haben. An Beispielen erfolgreicher und gescheiterter Crowdfundings, zeige ich auf, was es alles zu beachten gilt und gebe Tipps für gelungenes Funding.

Allen, die sich über Crowdfunding grundsätzlich informieren wollen, oder die hier gar selbst aktiv werden wollen, bietet das Buch einen guten Ein-und Überblick. Es ist nicht allzu wissenschaftlich geschrieben, aber auch nicht oberflächlich, sondern eine gute Handreichung, die sich auch noch nützlich sein wird, wenn sich der Plattform-Markt weiter verändert. Vermutlich ist es auch deswegen kürzlich für den Hans-Matthöfer-Preis 2014 für Wirtschaftspublikationen vorgeschlagen worden.

Vielen Dank für das Interview!

Weitere Informationen: www.orthwein-beratung.de

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Autor
Redaktion
Datum
03. November 2014
Themen
Finanzierung
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