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Über das Phischen nach "Dummen", die Untiefen des Online-Marketings und mögliche Entwicklungsszenarien

Wohin steuert der Crowdinvesting-Markt?

Etabliert sich Crowdinvesting als anerkannte Finanzierungs- und Anlagealternative oder bewegt sich der Markt in Richtung einer grauen Nebelwand, in der Anleger:innen Gefahr laufen reihenweise Schiffbruch zu erleiden? Die beiden Nobelpreisträger George A. Akerlof und Robert J. Shiller argumentieren, dass aktiv gegengesteuert werden muss, damit in Märkten nicht systematisch nach „Dummen“ gephischt wird. In diesem Zusammenhang diskutiert der Artikel Anlegergewinnungs-Tools wie das Affiliate-Marketing, Initiativen und Ideen zur qualitativen Weiterentwicklung und mögliche Zukunftsszenarien des Marktes. [Lesezeit: ca. 20 Min.]
Von Michel Harms am 17. September 2020

Die Finanzkrise 2008 ist für viele Akteure in der Crowdfunding-Branche der impulsgebende Auslöser gewesen Finanzierungen neu zu denken. Seit rund zehn Jahren bieten Crowdinvestments in Deutschland einen Gegenentwurf zum Bankensystem und eine Alternative zur Komplexität der Finanzmärkte – direkte und zweckgebundene Investitionen ohne umverpackende Zwischenhändler.

Schlanke Kostenstrukturen, hohe Transparenz, einfache Verständlichkeit und ein Austausch auf Augenhöhe – mit diesen Versprechen ist die Crowdfunding-Branche angetreten. Doch wird die Branche diesem Anspruch gerecht oder entwickelt sich der Markt in eine gegensätzliche Richtung und wiederholt Mechanismen aus der „alten“ Finanzwelt?

Dieser Eindruck entsteht, wenn man die aktuellen Schlagzeilen in der Medienlandschaft betrachtet. „So werden Kleinanleger in riskante Immobiliengeschäfte gelockt“, titelte zum Beispiel Der Spiegel im Februar 2020. Im Manager Magazin finden sich Artikel mit den Überschriften „Wie digitale Drücker Kleinanleger in riskante Investments locken“ (Februar 2020) und „So perfide werden Anleger am neuen Graumarkt geködert“ (August 2020).

Die Theorie vom Phischen nach "Dummen"

Wie Verbraucher:innen in Geschäfte gelockt werden, die für sie nicht vorteilhaft sind, beschreiben die beiden Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger George A. Akerlof und Robert J. Shiller in ihrem Buch „Phishing for Fools – Manipulation und Täuschung in der freien Marktwirtschaft“ aus dem Jahr 2015.

Das Buch „Phishing for Fools“ von George A. Akerlof und Robert J. Shiller (engl. Titel: Phishing for Phools)

Akerlof und Shiller argumentieren, dass der vom Wettbewerb beherrschte freie Markt die einzelnen Anbieter unter Druck setzt, sich „unanständig“ zu verhalten. So haben die Anbieter den Anreiz die psychologischen Schwächen oder den Informationsmangel ihrer Kunden:innen auszunutzen, um Umsatz mit ihnen zu erzielen. Unter hohem Wettbewerbsdruck sehen sich manche Anbieter sogar dazu gezwungen. Dieses Phänomen bezeichnen Akerlof und Shiller als „Phishing for Fools“.

 

Definition: Phishing

Phishing definieren die Autoren als eine „Aktivität, die dazu dient, Menschen dazu zu bewegen, etwas zu tun, was nicht in ihrem Interesse, sondern nur in dem der Phischer ist. Phischer sind die Anbieter, die sich „unanständig“ verhalten. Fools sind die „Dummen“, die sich von den Anbietern phischen lassen. Entweder sind diese „psychologisch dumm“, weil sie ihren gesunden Menschenverstand durch Emotionen überwältigen lassen oder sie sind „Informations-Dumm“, da sie sich in ihren Handlungen von absichtlich irreführenden Informationen leiten lassen.

Nach Ansicht der beiden Autoren ist das Phishen nach „Dummen“ auf den Finanzmärkten die Hauptursache für Finanzkrisen.

Crowdfunding oder Crowdphising?

Robert J. Shiller warnt in dem weiterem Artikel „Crowdfunding or Crowdphishing?“ (2015), dass das Phischen nach „Dummen“ auch im Crowdfunding-Markt zum Problem werden kann. Dabei sieht er nicht das Risiko der bewussten Täuschung durch die Anbieter, welche möglicherweise auch strafrechtlich relevant sein könnte, sondern eher eine subtile Beeinflussung, mit der leichtgläubige Anleger:innen in eine bestimmte Richtung gelenkt werden.

Wenn bei der Anlegergewinnung unter hohem Wettbewerbsdruck die Integrität einzelner Anbieter leidet, kann sich das laut Shiller in der Gesamtheit aufaddieren und in etwas Systemisches entwickeln.

Wie man mit Online-Marketing Anleger:innen gewinnt

Die Gewinnung von Anleger:innen findet in großen Teilen über das Internet statt und ist, neben der Akquise von Emittenten, die zentrale Herausforderung für die Plattformanbieter.

Die grundlegenden Mechanismen des Online-Marketing gleichen sich in den meisten Branchen, ob es um die Gewinnung von Käufer:innen für Kühlschränke oder Neukunden:innen für DSL-Anschlüsse, Kreditkarten oder Crowdfunding-Plattformen geht. Folgende exemplarisch beschriebenen Marketing-Tools finden in fast allen Märkten Anwendung, in denen Produkte und Services online vertrieben werden.

 

Kundengewinnung durch Affiliate-Marketing

Bei der Kundengewinnung im Internet ist Affiliate-Marketing sehr verbreitet. Auch im Crowdinvesting hat Affiliate-Marketing Einzug erhalten, die meisten Plattformen arbeiten mittlerweile mit solchen Werbe-Links. Diese werden auch von crowdfunding.de zur Finanzierung des Informationsangebots genutzt.

Beim Affiliate-Marketing wird Webseiten-Betreibern, Influencern, Info- und Finanzportalen ein finanzieller Anreiz gegeben, auf die Anbieter hinzuweisen und so als Tippgeber zu agieren. Wenn Anleger:innen über den Affiliate-Link eines Tippgebers eine Crowdinvest-Plattform ansteuern und dort investieren, erhält der Tippgeber rückwirkend eine erfolgsabhängige Marketingvergütung. Die Tippgeber verdienen also mit, wenn Anleger:innen über sie auf Crowdinvesting-Plattformen aufmerksam werden und dort investieren.

Affiliate-Marketing bietet diverse Vorteile. Die Marketingausgaben sind für die werbetreibenden Plattformen gut zu kalkulieren, da diese nur anfallen, wenn Umsatz erzielt wird. Für den Crowdinvest-Markt wird durch Affiliate-Kooperationen mit reichweitenstarken Portalen ein Weg zu mehr Sichtbarkeit ermöglicht. Für digitale Medien bietet Affiliate-Marketing eine Möglichkeit ihr Informationsangebot zu finanzieren.

Affiliate-Verlinkungen beinhalten allerdings ein erhebliches Potential für Interessenkonflikte. Es besteht die Gefahr, dass Tippgeber als verlängerter Arm der Anbieter nach „Dummen“ phischen, da sie mitprofitieren, wenn es zu einem Geschäftsabschluss kommt.

 

Bewertungen & Tests

Anbieter verweisen häufig auf Tests, Bewertungen und Erfahrungsberichte, um Anlegervertrauen zu gewinnen und Interessenten:innen davon zu überzeugen, dass das eigene Angebot seriös und empfehlenswert ist.

Diese öffentlichen Bewertungen können eine hilfreiche Orientierung für Kunden:innen darstellen und dabei helfen, seriöse von unseriösen Anbietern zu unterscheiden. Allerdings besteht das Risiko, dass nicht nachvollziehbar ist, inwieweit die Bewertungen tatsächlich repräsentativ und unabhängig erstellt wurden oder sogar gefälscht sind, wie Stiftung Warentest bei der Bewerbung von Kindermöbeln recherchiert hat.

 

Weitere Online-Marketing Tools

Es gibt noch eine Reihe weiterer Tools aus dem Online-Marketing, die auch im Crowdfunding-Bereich Anwendung finden. Dazu gehören beispielsweise die Schaltung von Bannern, werbliche Artikel, Suchmaschinen-Optimierung, Testimonials, Qualitätssiegel, conversion-optimierte Webseiten, Bonuscodes für Erstinvestoren oder Freunde-werben-Freunde-Empfehlungsprämien.

 

Online-Marketing = Phishing ?

Die Aussage, dass es sich bei Marketing-Tools grundsätzlich um Phishing-Tools handelt, lässt sich nicht treffen.

Der persönliche Erfahrungshorizont der Rezipient:innen von Werbebotschaften und das Werbeumfeld spielt eine entscheidende Rolle. Ein Willkommensbonus über 200 Euro kann für den erfahrenen Anleger einen attraktiven Werbeanreiz darstellen, um sich risikobewusst auf neues Anlageterrain zu begeben. Für den unbedarften Anleger, der beispielsweise auf einem Rabatt-Portal über einen „Crowdinvesting-Gutschein“ stolpert, könnte ein solch vermeintliches „Geldgeschenk“ jedoch Auslöser für ein unreflektiertes Impulsinvestment sein.

Außerdem hängt viel von der jeweiligen Ausgestaltung der Maßnahmen ab – insbesondere davon, wie transparent bei den Werbemaßnahmen vorgegangen wird. Manipulativ eingesetzt haben die Marketing-Tools das Potential „Dumme“ zu phischen. Verantwortungsvoll eingesetzt können sie dazu beitragen Interesse zu wecken und für eine Stimulierung des Marktes sorgen.

Einen direkten Beitrag zur qualitativen Weiterentwicklung des Marktes liefern die Marketing-Tools jedenfalls meist nicht.

Ideen und Initiativen zur qualitativen Weiterentwicklung des Marktes

Es stellt sich die Frage, was es braucht, um Phishing zu verhindern, den Markt attraktiver zu machen und so langfristig die Anlegerbasis zu verbreitern. Folgend eine Auswahl möglicher Lösungsansätze und entsprechender Beispiele.

 

Regulierung

Akerlof und Shiller argumentieren in ihrem Buch für den Einsatz von Aufsichts- und Regulierungsbehörden, um Phishing zu verhindern. Mit Blick auf die Akteure im Finanzmarkt schreiben die beiden: „Lässt man ein einjähriges Krabbelkind aus dem Laufstall (dereguliert man seine Aktivitäten), so muss man es nicht weniger, sondern strenger beaufsichtigen.“ Bei der Einordnung ihrer Aussagen gilt es zu berücksichtigen, dass die beiden Autoren vor allem mit Blick auf die USA argumentieren, wo traditionell ein anderes Kräfteverhältnis zwischen Staat und freiem Markt vorherrscht.

Im deutschen Kleinanlegerschutzgesetz werden unter anderem Maximalinvestments für Anleger:innen und Informationspflichten geregelt. Während dieses Gesetz vom Bundesverband Crowdfunding befürwortet wird, üben Verbraucherschützer Kritik. Insbesondere die Befreiung von der Prospektpflicht für Immobilieninvestments steht dabei in der Kritik. Im Manager Magazin kritisiert Prof. Dr. Andreas Oehler von der Universität Bamberg, dass die Anbieter nur ein 3-seitiges Infoblatt vorlegen müssen und sagt: „Angesichts der hohen Risiken der Geldanlagen sollte die Bundesregierung diese Fehler dringend korrigieren.“

Die Politik, die die Spielregeln bestimmt und die Aufsicht, die die Einhaltung dieser überwacht, stehen vor der Herausforderung die passende Balance zwischen ausreichendem Anlegerschutz und genügend Freiraum für die Anbieter zu finden, um dem neuen Markt gesunde Entwicklungschancen zu ermöglichen.

 

Austauschmöglichkeiten für Anleger:innen

Robert J. Shiller rät in seinem Crowdphishing-Artikel dazu neutrale Diskussionsplattformen für Crowd-Anleger:innen zu etablieren, um Phishing entgegenzuwirken. Seiner Ansicht nach könnten durch einen Austausch und der Eigenrecherche von Anleger:innen, Projekte kritisch durchleuchtet und dadurch Probleme und Ungereimtheiten im Vorfeld erkannt werden.

> Initiativen der Plattformen
Auf den meisten Plattformen haben Anleger:innen die Möglichkeit zu einem projektbezogenen Austausch. Manche Plattformen bieten ihren Anlegern auch spezielle Clubs mit zusätzlichen Features oder eine Interessenvertretung, wie z.B. der Investorenbeirat von LeihDeinerUmweltGeld.

> Initiativen von Anleger:innen
Bei Facebook gibt es mehrere Crowdanleger-Gruppen, wie z.B. „Crowdinvestor“ und „Sauercrowd“. In den Jahren 2014 – 2019 war die Webseite www.crowdinvesting-forum.de online.

> Weitere Initiativen
Investmentcheck.de hat ein Forum für „geschädigte“ Crowd-Anleger initiiert.

Bei den von den Plattformen angebotenen Austauschmöglichkeiten liegt das Hausrecht und damit die letzte Moderationsinstanz bei den Anbietern. Bei den anbieterunabhängigen Online-Treffpunkten wird sich meist über Problemfälle und Pleiten ausgetauscht. Kritische Vorabrecherchen zu den in der Finanzierungsphase befindlichen Projekten, wie sie Shiller vorschweben, lassen sich auf den anbieterunabhängigen Seiten selten beobachten. In unmoderierten Online-Foren besteht das Risiko, dass es dort zum Phishing in Form von Empfehlungen und vermeintlichen Geheimtipps kommt, da die Interessenlage der zum Teil anonym agierenden Diskussionsteilnehmer:innen nicht immer eindeutig ist.

 

Interessenvertretung

Für Crowdanleger gibt es bislang keine organisierte Interessenvertretung. Auf Ebene der Plattformen gibt es mehrere Verbände. Auch wenn es dort in erster Linie um die Interessen der Plattformen geht, kann ein solcher Verband Richtlinien und Standards setzen und freiwillig selbstregulativ tätig werden. Alle Verbände versprechen, sich auch für die Belange der Anleger:innen einzusetzen.

> Verband deutscher Kreditplattformen e.V.
Ziel u.a. „Vertretung der Interessen von Kreditnehmern und Anlegern als Kunden der Kreditplattformen“

> Bundesverband Crowdfunding e.V.
Initiativen für Verbraucherschutz: Transparenzsiegel, Reporting Standards, Verhaltenskodex

>European Crowdfunding Network
Purpose u.a. „Joint platform for self-regulation, transparency and governance issues”

Über die Wirksamkeit der Zielbekundungen und Initiativen der Verbände lässt sich aktuell noch keine Aussage treffen, da bislang keine Informationen über eine Evaluierung der Maßnahmen veröffentlicht wurden.

 

Analysen und Ratings

Analysen von Crowdinvestment-Projekten durch unabhängige und qualifizierte Dritte können Anleger:innen Orientierung bei ihren Investitionsabsichten geben.

> Produktbesprechungen
Das Magazin für nachhaltige Geldanlagen Ecoreporter testet neue Crowd-Projekte und spricht Empfehlungen aus. Der im Jahr 2019 eingestellte Branchendienst “Fondstelegramm” hat bis dahin regelmäßige kostenpflichtige Crowdinvest-Produktanalysen veröffentlicht.

Da es beim Crowdinvesting meist um kleinere Finanzierungsvolumen geht, die häufig schnell ausplatziert sind, ist fraglich, inwieweit sich ausführliche Produktanalysen lohnen. Grundsätzlich ist bei allen Ratings und Analysen die entscheidende Frage, wer diese bezahlt.

 

Initiativen von crowdfunding.de

crowdfunding.de hat durch die Auseinandersetzung mit dem Crowdfunding-Markt und der Arbeit an dem Informationsportal mehrere Ideen realisiert.

> Projekt-Checklisten
Checklisten können Anleger:innen helfen, die Qualität von einzelnen Crowdinvest-Projekten eigenständig einzuordnen. (Immobilien / Solaranlagen)

> Anleger:innen-Check
Ein spielerisch aufgebautes Quiz weist Interessierte auf wichtige Fallstricke beim Crowdinvesting hin und gibt eine Hilfestellung einzuschätzen, wie fit man im Thema ist.

> Erfolgsmonitor
Unter www.crowdinvest.de werden finanzierte Crowdinvest-Projekte mit ihrem aktuellen Anlagestatus öffentlich einsehbar und mit Hilfe von Input aus der Crowd nachhaltig dokumentiert. Dadurch wird ein ganzheitlicher und transparenter Blick auf die Leistungsfähigkeit der jungen Anlageklasse und ihrer Anbieter ermöglicht. Um Interessenskonflikte auszuschließen, werden auf crowdinvest.de keine Affiliate-Links eingesetzt.

> Affiliate-Ampel
Die Affiliate-Ampel ist ein Kennzeichnungssystem für Affiliate-Links und markiert geschäftliche Verbindungen zwischen Online-Medien und Anbietern. Dadurch haben Leser:innen die Möglichkeit, die jeweiligen Inhalte vor dem Hintergrund möglicher geschäftlicher Verbindungen einzuordnen. Die Affiliate-Ampel wird seit Januar 2020 bei crowdfunding.de eingesetzt.

Marktpotentiale und die Plattformen, die sie heben wollen

Laut „Crowdfunding Barometer 2020“ können es sich 33,3% der Befragten (Deutschland online-repräsentativ ab 18 J.) eher oder sehr gut vorstellen per Crowdfunding Geld zu investieren, um eine Rendite zu erzielen.

 

Anlegerkommunikation

Um neue Anlegerschichten von Crowdinvestments zu überzeugen, gilt es Vertrauen zu herzustellen. Dies gelingt nur, wenn realistische Erwartungshaltungen geschaffen werden und so Enttäuschungen entgegengewirkt wird. Wenn Anbieter beispielsweise nachrangige Immobiliendarlehen mit „Beton-Rendite“ Sprüchen bewerben und so eine nicht vorhandene Sicherheit suggerieren, sind Desillusionierungen vorprogrammiert.

Nur Anleger:innen, die sich der Risiken vollends bewusst sind und ihre Anlageentscheidungen aufgeklärt und eigenverantwortlich treffen, können mit möglichen Ausfällen umgehen. Anleger:innen, die unreflektiert investieren und bei einer Pleite Geld verlieren, werden ihrer Enttäuschung Luft verschaffen. Dieser Frust wird ihren Weg zunehmend über die sozialen und die klassischen Medien in die Öffentlichkeit finden. Die Konsequenz ist, dass das Ansehen der Branche in der öffentlichen Wahrnehmung leidet und das Vertrauen zurückgeht, was folglich die Erschließung der Anlegerpotentiale deutlich erschwert.

Für die Anlegerkommunikation kann es deshalb nur lauten: realistische Erwartungshaltungen, keine Taschenspielertricks und niemals Menschen für dumm verkaufen. Alles andere würde zum Boomerang für die Branche werden.

 

Wachstumsambitionierte Plattformen

Durch die unternehmerische Pionierarbeit der Plattform-Betreiber wurde ein neues Anlagesegment geschaffen. Über die letzten Jahre hat die Crowd über eine Milliarde Euro in deutsche Crowdinvest-Projekte investiert (Crowdinvest Marktreport 2019).

Anfangs haben die als Startups gestarteten Plattformen versucht mit überschaubaren Mitteln ihre Geschäftsmodelle zu etablieren. Heute wird in größerem Maße in die Branche investiert, was den Markt deutlich voranbringen kann. Die finanziellen Mittel eröffnen den Plattformen und damit auch dem Ökosystem, neue Spielräume und Entwicklungsmöglichkeiten. Wenn ausreichend Geld für Mitgliedsbeiträge vorhanden ist, können sich Verbände professionell organisieren. Durch höhere Werbebudgets können sich Events, Portale und Publikationen von Drittanbietern finanzieren. Über TV-Werbung können neue Anlegerschichten angesprochen werden. Und es ist möglich erfahrene Leute mit Finanzmarkt-Expertise einzustellen, was zur weiteren Professionalisierung beiträgt.

Externes Wagniskapital kann aber auch zu mehr Phishing führen, wenn sich Plattformen durch die Zielvorgaben der Geldgeber dazu gezwungen sehen mit allen Mitteln Anleger:innen zu gewinnen. Eine Verpflichtung zum Wachstum erhöht ebenfalls das Risiko, dass Plattformen Projekte zum Investieren anbieten, die jenseits des kommunizierten Qualitätsanspruchs liegen.

Wo steht der Markt und wo bewegt er sich hin: Drei Szenarien

Bei der Bewertung, wie stark Anleger-Phishing aktuell im Crowdinvesting-Markt ausgeprägt ist, werden die Meinungen je nach Perspektive – ob Verbraucherschutz oder Plattformbetreiber – differieren.

Auch bei der Frage, welches der folgenden spitz skizzierten Szenarien das realistischste ist, werden unterschiedliche Einschätzungen vorherrschen.

 

Szenario A: Augen zu und durch

Es läuft weiter so, mit steigendem Druck auf dem Kessel. Immer neue Anbieter, die ihre Produkte platzieren wollen, drängen in den Markt. Neben den seriösen Anbietern werden zunehmend zwielichtige Akteure angezogen, die in dem Markt eine willkommene Möglichkeit sehen ihre „abenteuerlichen“ Produkte zu platzieren. Im Markt entsteht ein Überbietungswettbewerb um Neukunden. Die Anbieter mit den schlechtesten Produkten zahlen die höchsten Affiliate-Werbevergütungen, Willkommens-Gutscheine und Freunde-werben-Freunde-Prämien. Der Markt wird immer unübersichtlicher. Qualitativ hochwertige Investmentangebote sind kaum sichtbar und nur schwer zu identifizieren. In der Folge ziehen sich die Emittenten mit attraktiven Anlageangeboten zurück. Die risikobewussten Anleger:innen kehren dem Markt den Rücken.

Der Crowdinvest-Markt verliert sein positives Momentum und dümpelt vor sich hin. Im grauen Schmuddelmarkt verbleiben nur noch Phischer und Fools. Wenn schließlich zu viele unqualifizierte Anleger:innen in zu viele schlechte Projekte investiert haben, kommt es zu massiven Ausfällen. Durch die folgende Negativpresse verbrennt der Markt in der öffentlichen Wahrnehmung.

 

Szenario B: Bitte anhalten

Die Politik tritt auf die Bremse und verschärft den regulativen Rahmen auf Druck der Verbraucherschützer. Die Kapitaleinwerbung wird durch eine Prospektpflicht und weitere Anforderungen deutlich aufwändiger und kostenintensiver. Die Möglichkeiten für Marketingmaßnahmen werden so massiv eingeschränkt, dass eine bezahlbare und wirksame Gewinnung von Neuanleger:innen unmöglich ist.

Für Plattformbetreiber besteht in diesem strengen Rechtsrahmen keine Chance auf eine erfolgreiche Geschäftsperspektive – sie ziehen sich folglich aus dem Markt zurück.

 

Szenario C: Crowdinvest at its best

Die Branche entwickelt sich aus sich heraus proaktiv und qualitativ weiter. Die Politik findet im Austausch mit den Anbietern und dem Verbraucherschutz die richtige Balance und optimiert den regulativen Rahmen zielgerichtet. Branchenverbände erkennen die Phishing-Tendenzen als ernstzunehmende Gefahr für den Markt und setzen sich selbst entsprechende Regeln und Standards, deren Einhaltung laufend und transparent protokolliert werden. Es gründen sich neue Drittanbieter und Initiativen, die dazu beitragen Phishing zu verhindern.

Der zu Anfang dieses Artikels skizzierte Anspruch an die alternative Finanzierungsform wird Realität:

> Schlanke Kostenstrukturen
Mit steigendem Funding-Volumen sinken bei den Anbietern die anteiligen Fixkosten. Da nicht mehr so viel Marge für den Plattformbetrieb und zur Anlegerwerbung benötigt wird, können die eingesparten Prozentpunkte in Form von besseren Konditionen an die Anleger:innen weitergegeben werden. Die in Aussicht gestellten Zinsen erreichen so ein Niveau, das in einem gesunden Verhältnis zum Ausfallrisiko steht. Crowdinvestments bieten ein attraktives Risiko-Rendite-Profil und entwickeln sich zu einer wettbewerbsfähigen Anlagealternative.

> Hohe Transparenz
Interessenkonflikte, spezielle Risiken und problematische Aspekte werden transparent aufgezeigt. Für Interessierte ist es deutlich erkennbar, wenn im Internet auffindbare Informationen werblicher Natur sind. Anleger:innen sehen konkret, was mit ihrem Geld passiert. Sie treffen ihre Anlageentscheidungen nicht nur aus Rendite-Aspekten, sondern auch auf Basis der Wirkung auf die Umwelt und Gesellschaft.

> Einfache Verständlichkeit
Die für Anleger:innen relevanten Informationen sind verständlich, übersichtlich und nachhaltig aufbereitet. Die Risiken von Projekten können mit überschaubarem Zeitaufwand eigenständig bewertet werden. Es entwickelt sich ein gesunder Wettbewerb auf der Produktebene. Die Plattformen, die die besten Produkte anbieten, werden mit Erfolg belohnt und nicht jene, die die raffiniertesten Marketing-Tricks beherrschen.

> Austausch auf Augenhöhe
Es hat sich in der Breite die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich mit dem systematischen Ausnutzen von Informationsasymmetrien langfristig kein Geschäft machen lässt.

Der Markt wächst in einem „gesunden“ Tempo, die vorhandenen Anlegerpotentiale werden nach und nach erschlossen. Gleichlaufend werden stetig qualitative Weiterentwicklungen realisiert. Crowdfunding etabliert sich als ernstzunehmende Finanzierungs- und Anlagealternative zum klassischen Bankensystem.

Fazit

Der Crowdinvestment-Markt ist in vielen Aspekten ein Markt wie jeder andere auch. Anbieter loten im bestehenden regulativen Rahmen ihre Möglichkeiten aus, um ihr Geschäft voranzutreiben. Wie in anderen Finanzmärkten gibt es auch hier Phishing-Tendenzen.

 

Learnings zunutze machen, nicht alte Mechanismen

Es besteht die reale Gefahr, dass der Crowdinvest-Markt zunehmend dubiose Finanzjongleure anlockt und dass unbedarfte Kleinanleger:innen in einer aufziehenden grauen Nebelwand reihenweise Schiffbruch erleiden. Als mögliche Konsequenz zu solch einer Entwicklung könnte die Wahrscheinlichkeit steigen, dass durch stark erhöhte regulativen Vorgaben so sehr gegengesteuert wird, dass Crowdinvesting als Geschäftsmodell zur Disposition steht.

Im zukünftigen Crowdinvesting-Markt werden sich vermutlich Aspekte aus allen der drei skizzierten Szenarien wiederfinden. Welches Szenario dominierend durchscheinen wird, hängt entscheidend davon ab, was die jetzt und zukünftig führenden Akteure antreibt und wie langfristig diese orientiert sind.

Allen Branchenbeteiligten, deren Zielszenario „Crowdinvest at its best“ lautet, sollte klar sein, dass es mehr zu bewerkstelligen gilt als lediglich Mechanismen aus der „alten“ Finanzwelt in digitale Prozesse zu übertragen. Vielmehr gilt es die Learnings zu nutzen, um darauf aufbauend neue Lösungen und ein neues Selbstverständnis zu entwickeln.

 

Vertrauen als Grundlage

Vertrauen ist die unverzichtbare Grundlage, damit Crowdfunding in der Breite der Gesellschaft Akzeptanz findet. Es gilt sich immer wieder bewusst zu machen, dass es auch im Crowdinvest-Markt Phishing-Strömungen gibt. Denn damit Vertrauen entstehen kann, muss Phishing – laut Akerlof und Shiller – von Anfang an verhindert werden.

Ganz am Anfang steht der Markt in Deutschland zwar nicht mehr, es ist aber auch noch nicht spät.

Titelfoto: Hubert Neufeld (Unsplash)

Disclaimer: Auch bei crowdfunding.de werden Affiliate-Links eingesetzt. Das Infoportal finanziert sich zum großen Teil über Werbegelder, die Plattformen zur Anlegergewinnung einsetzen. crowdfunding.de ist somit Marktteilnehmer und befindet sich ebenfalls in dem im Artikel skizzierten Spannungsfeld. Leser und Leserinnen mögen diesen Umstand in ihre Meinungsbildung zu diesem Artikel – so wie aller anderen Inhalte auf crowdfunding.de – einbeziehen. Infos

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Michel Harms

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Herausgeber
crowdfunding.de
Michel Harms ist der Herausgeber von crowdfunding.de. Mit der Seite möchte er eine unabhängige Plattform bieten, die umfassend zum Thema informiert und den Crowdfunding Gedanken weiter trägt. Er glaubt an die potentialsentfaltende Wirkung von Crowdfunding und den positiven Einfluss auf die Gesellschaft und Wirtschaft.
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Michel Harms
Datum
17. September 2020
Themen
Ausblick, Regulierung, Verbraucherschutz
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1 Kommentar

  • Gerhardt Schmidt

    Ein sehr guter Artikel, der die richtige Balance zwischen Optimismus und Pessimismus, zwischen Chance und Gefahr gefunden hat. Ich bin lange genug Crowdinvestor um Phishing als sich verstärkende Tendenz bestätigen zu können. Ich habe gelernt, selbst Zeit zu investieren um eigene Recherchen durchzuführen, eigene Prinzipien zu setzen und diese auch zu befolgen. Ganz ehrlich, es fällt nicht immer leicht, den „Verlockungen“ zu widerstehen, aber das „Nein, danke“ muss man verinnerlichen.
    Was ich etwas vermisse, das sind Ankündigungen zum zukünftigen Beitrag von crowdfunding.de für die Weichenstellungen der Branche. Es wird schon wertvolle Arbeit geleistet, aber da kommt doch noch etwas, oder?
    Viele Grüße aus Bayern von Gerhardt

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