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Warum Nachhaltigkeit und Crowdfunding so gut zusammenpassen

Bericht vom 5. CrowdCamp des European Crowdfunding Network

Mitte Juni fand unter dem Eindruck von Covid-19 das nunmehr 5. CrowdCamp des European Crowdfunding Network (ECN) virtuell und von Prag aus koordiniert in Zusammenarbeit mit Deloitte statt. Über drei Tage hinweg tauschten sich Plattformen und VertreterInnen der europäischen Institutionen zu den Themen nachhaltige Finanzierung und Zugang für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) zu Kapital aus. Das Branchen-Panorama, das sich aus den unterschiedlichen Blickwinkeln ergab, können Sie hier nachlesen.
Von Christin Friedrich am 23. Juli 2020

Ein Blick hinter die Kulissen

Es ist vieles in Bewegung. Die Crowdfunding-Industrie hat sich in den letzten zehn Jahren stark weiterentwickelt und ausdifferenziert. Das ECN, ins Leben gerufen im Jahr 2013, ist der regelmäßig tagende Verband der europäischen Crowdfunding-Plattformen. Als solcher strebt das ECN eine EU-weite Harmonisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Crowdfunding an, wirbt für die alternative Finanzierungsform als Motor für Innovation und setzt sich für eine größere Transparenz der Industrie ein.

Das geschieht im engen und vertrauensvollen Austausch mit Vertretern der EU-Kommission, des EU-Parlaments und des EU-Ministerrates. Einerseits weiß die EU-Kommission, wie entscheidend der Zugang zu Kapital für die 25 Millionen KMU ist, die 99 Prozent aller Firmen innerhalb der EU-Staaten ausmachen. Erst recht gilt das während einer Pandemie. Andererseits hat die EU nachhaltiges Wirtschaften in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten gerückt und verfolgt mit dem europäischen Grünen Deal sehr ambitionierte Ziele.

Viele Perspektiven, ein Ziel

Ron Given und Oliver Gajda
Ron Given und Oliver Gajda

Die Moderation des CrowdCamp übernahmen ECN-Executive Director Oliver Gajda und Ron Given, CE Senior Legal Counsel von Deloitte in der Tschechischen Republik. Given betonte, dass Deloitte und seine Kunden die Themen nachhaltige Finanzierung, die Klima-Agenda und ESG-Anlagen (was für „environmental, social and governance“ steht) umtreiben, weshalb sich Deloitte glücklich schätze, als Co-Organisator des CrowdCamp aufzutreten.

Das Programm umfasste insgesamt 19 Vortragende, die den Zuschauerinnen und Zuschauern eine Übersicht über die relevanten Themen der Branche aufzeigten, über anstehende Projekte informierten und erläuterten, wie die unterschiedlichen Stakeholder die Entwicklung aus ihrer Perspektive beurteilen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten ihre Fragen an das jeweilige Panel live online einreichen.

10. Juni 2020: „Opportunities: A European Vision on Sustainable Finance and the European Green Deal“

Martin Špolz

Martin Špolz, Leiter der Abteilung für nachhaltige Finanzen in der Generaldirektion Finanzdienstleistungen der Europäischen Kommission, lieferte die erste Keynote. In seiner Rede unterstrich Špolz die Wichtigkeit nachhaltiger Investitionen. Er betonte ihre weitreichende Bedeutung für die EU in den kommenden Jahren und die Regeln und Richtlinien welche hierzu im Rahmen des Aktionsplans Nachhaltiges Finanzwesen umgesetzt werden, unter anderem die Taxonomy für nachhaltige Finanzen. Špolz führte aus, dass diese auch während der Krise eine deutlich bessere Performance gezeigt hätten als konventionelle Investitionen: „Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Investitionen, die Nachhaltigkeitsaspekte verfolgten während der Krise viel besser abgeschnitten haben als andere Investitionen.“

Im Anschluss schilderte Ondřej Kovařík, Tscheche wie auch sein Vorredner und Mitglied des Europäischen Parlamentes, wo er unter anderem im „Committee on Economic and Monetary Affairs“ tätig ist, seine Sicht auf den europäischen Grünen Deal und KMU Finanzierungen. Ihm zufolge sei der Zugang zu Kapital für KMU bereits vor Covid-19 überlebenswichtig für viele Branchen gewesen und wird in Bezug auf Nachhaltigkeit noch wichtiger.

Nuno Brito Jorge Christin Friedrich und Filipe Portela

Beide Keynote-Speaker äußerten sich zum gesetzlichen Rahmen, der grenzüberschreitendes Finanzieren über Crowdfunding-Plattformen ab 2021 möglich machen soll. Danach begrüßte das Moderationsduo die zugeschalteten Geschäftsführer zweier Crowdfunding-Plattformen und eines auf Nachhaltigkeitsinvestments spezialisierten Business Angel Clubs, nämlich Nuno Brito Jorge von GoParity (Barcelona), Christin Friedrich von Innovestment (Berlin) und Filipe Portela von COREangels (Lissabon), die darlegten, inwieweit nachhaltiges Finanzieren ihre Entwicklung vorantreibt.

Mit Blick auf Corona wurde erwähnt, dass insbesondere Reward-based Crowdfunding-Plattformen ihren Beitrag zur Bewältigung von kurzfristigen Unternehmensliquiditätserfordernissen geleistet haben, indem über sie viele Projekte platziert und unterstützt wurden. Als Beispiel wurde das ECN-Mitglied Startnext genannt, die größte deutsche Reward-based Crowdfunding-Plattform, über die UnterstützerInnen in den drei Monaten seit Lockdown Mitte März über 9 Mio. EUR an Projekte ermöglicht haben. Zum Vergleich: Das sind 10 % des bisherigen Gesamtvolumens, das Startnext während seines zehnjährigen Bestehens platziert hat.

Fazit des Tages war, dass Nachhaltigkeit noch stärker in den Vordergrund bei Plattformen rückt und diese so noch mehr nachhaltigen Projekten Zugang zu Kapital ermöglichen, indem sie diese als Investment-Möglichkeit für Privatpersonen zugänglich machen. Eben ein einfacher und direkter Zugang über Plattformen, die als Technologiegeber und Kurator fungieren. Fakt ist, dass privates Kapital essentiell ist, um die Finanzierungslücke bei nachhaltigen Projekten zu schließen.

Sämtliche CrowdCamp-Diskussionen vom 10. Juni 2020 können Sie hier als Video aufrufen.

11. Juni 2020: „The Challenge: Making Crowdfunding Sustainable“

Am zweiten Tag des CrowdCamp eröffnete Elena Ethel „Elly“ Schlein, die Vize-Präsidentin der norditalienischen Region Emilia Romagna, von Bologna aus das Thema des Tages. Die Halbamerikanerin weiß sehr wohl um die Power der Crowd, konnte sie doch im Jahr 2008 als Wahlkampfhelferin im US-Wahlkampf live miterleben, wie Mikro-Spenden im ersten wirklich digitalen Wahlkampf dem demokratischen Bewerber Barack Obama zur Präsidentschaft verhalfen.

Elena Ethel Elly Schlein

Die ehemalige EU-Parlamentarierin betrachtet Lending und Equity Crowdfunding als Werkzeuge, um regionale Entwicklungsziele z. B. im sozialen Wohnungsbau im Sinne einer „citizen partnership“ umzusetzen, weshalb die Region Emilia Romagna Crowdfunding nicht nur fördert, sondern auch unter ihren Bürgerinnen und Bürgern promotet.

Als zweiter Keynote-Speaker fungierte Ron Givens Kollege Rafał Rudzk in Warschau, der beim polnischen Ableger von Deloitte die Themen Sustainable Finance und Klimawandel verantwortet, wobei der zweite Punkt den ersten Punkt notwendig macht. Das spiegele sich auch im Portfolio institutioneller Kunden wieder, so Rudzk, denn die Nachfrage nach ESG-Produkten nehme stetig zu.

Im Anschluss daran meldete sich aus Düsseldorf Zsolt Balogh zu Wort, der Solaranlagen entwickelt, die über Crowdfunding finanziert werden. Er legte dar, wie entsprechende Finanzierungen strukturiert werden können. Anlagenentwicklern könne Crowdfunding helfen Projekte, welche für Banken und Fonds zu klein sind, zu finanzieren. Er zeigte auch auf, wo Crowdfunding noch effektiver eingesetzt werden könne, wenn sich durch Skalierbarkeit auch die Preisstrukturen der Industrie dem Markt weiter anpasse.

Im dritten Block stellte Perrine Pouget vom European Investment Fund (EIF, Luxemburg) dessen Finanzierungsprogramme vor, die sie anschließend anhand von zwei Praxisbeispielen von Nachhaltigkeits-Crowdfunding-Plattformen illustrierte. Ihnen hat der EIF – eine Körperschaft der EU, die als „Fund of Funds“ via Intermediäre investiert – Wachstumskapital in Form von operativen Darlehen zur Verfügung gestellt, um diese zu unterstützen, mehr (nachhaltigen) KMU Zugang zu Kapital zu verschaffen. Weitere solche Transaktionen sind geplant.

Perrine Pouget Jan Willem Grandia und Eva Sadoun

Perrine diskutierte mit den Panelists Jan Willem Grandia von OnePlanetCrowd (Amsterdam) und Eva Sadoun von Lita.co (Paris). OnePlanetCrowd ist eine der größten Crowdfunding-Plattformen für Nachhaltigkeitsprojekte in Europa und erhielt kürzlich ein Darlehen in Höhe von 1 Million Euro vom EIF, um das weitere Wachstum zu beschleunigen. Bisher wurden über OnePlanetCrowd 62 Millionen Euro investiert und zum Teil mit eigenen Investmentfonds co-finanziert.

Die französische Social Impact Equity-Crowdfunding Platform Lita.co bezieht bei ihrer Auswahl der Unternehmen deren sozialen und ökologischen Fußabdruck mit ein und bietet InvestorInnen einen Steuervorteil an. Insgesamt wurden über lita.co in drei Ländern bis dato knapp 50 Millionen Euro für über 100 Unternehmen investiert. Die Vision von Lita.co-Co-Gründerin Eva Sadoun ist es „solidarity finance“ zu digitalisieren und damit Investorinnen und Investoren ein nahezu 100% nachhaltiges Portfolio zu ermöglichen.

Sämtliche CrowdCamp-Diskussionen vom 11. Juni 2020 können Sie hier als Video aufrufen.

12. Juni 2020: „The Investor’s Perspective: Sustainability, Transparency and Investor Protection“

Am dritten Tag stand Ira Saul Rubenstein von Traficon Advisors Oliver Gajda bei der Moderation zur Seite. Ihre Gesprächspartner teilten mit dem Publikum ihre Überlegungen bezüglich der Frage, wie wichtig die Themen Transparenz und Open Data für Investorinnen und Investoren im Bereich Nachhaltigkeit sind.

Olivier Schulbaum

Zu diesem Zweck eruierte Olivier Schulbaum von Goteo von Barcelona aus, wie Sustainable Development Goals (SDG) bei Crowdfunding integriert werden können. Schulbaum sprach auch die Notwendigkeit von Open Data und Transparenz in der Crowdfunding Industrie an.

Daniel Farchy

Daniel Farchy von der European Investment Bank (EIB) – der Mutter-Organisation des EIF – schilderte von Luxemburg aus die Rolle des größten multilateralen Kreditgebers der Welt, der allein 2019 25 Milliarden Euro an KMU ausreichte. Die EIB ist bemüht auf lange Sicht die Taxonomy für nachhaltige Finanzen der Europäischen Kommission in allen ihrer Transaktionen umzusetzen. Mittelfristig sieht sich die EIB dabei auch in der Lage über entsprechende Fondsstrukturen Crowdfunding Platformen bei der Finanzierung von KMU zu unterstützen.

Arnaud Gillin

Ebenfalls aus Luxemburg schilderte Arnaud Gillin von Innpact den Zusammenhang von Impact Investing, Investmentfonds und Crowdfunding. Innpact setzt seit 13 Jahren Impact  Investment Funds für Initiatoren um, damit diese sich auf die Auswahl der Investments konzentrieren können. Entsprechende Strukturen können auch für Crowdfunding Platformen hilfreich sein.

Im abschließenden Panel debattierte Moderator Ira Saul Rubenstein mit Heather Langsner von Flatworld Partners, Coenraad de Vries von OnePlanetCrowd, Pasi Vänttinen, von GreenMorrow und Luís Fonseca von Mustard Seed Maze über Nachhaltigkeit, Anlegerschutz und Transparenz.

Heather Langsner Coenraad de Vries Pasi Vänttinen Luís Fonseca

Das Fazit des Tages lautete, dass Crowdfunding ein wichtiges Puzzleteil ist, um weiteres Kapital für nachhaltige Projekte zu erschließen. Eine entscheidende Aufgabe werde jedoch sein, wie die nachhaltige Wirkung gemessen wird. Dabei werden die Regeln der Europäischen Kommission aus dem Aktionsplan Nachhaltiges Finanzwesen für eine umweltfreundlichere und sauberere Wirtschaft bestimmend sein, aber auch die Sustainable Developmental Goals (SDG) der Vereinten Nationen sind ein vielversprechender Ansatz. Da die EU-Regeln und die SDG sich jedoch nicht gleich auf jede Industrie und Region anwenden lassen, braucht es hier ein noch besseres Verständnis und eine genauere Ausgestaltung. Hierbei soll auch die neugegründete Arbeitsgruppe „sustainable finance“ im ECN ihren Beitrag leisten.

Sämtliche CrowdCamp-Diskussionen vom 12. Juni 2020 können Sie hier als Video aufrufen.

Ein Fazit aus Prag

Die Taktung des 5. ECN CrowdCamp war hoch und es war spannend zu sehen, wie die unterschiedlichen Beteiligten aus Praxis und Politik Crowdfunding bewerten und einsetzen, um insbesondere europäische KMU mit Kapital zu versorgen. Die Vortragenden waren sich einig, dass nachhaltige Investments nicht nur die Zukunft sind, sondern bereits DER Trend der Gegenwart, an dem vor dem Hintergrund des Klimawandels auch nichts vorbeiführt.

Über ECN
Die Non-Profit-Organisation European Crowdfunding Network (ECN) mit Sitz in Brüssel engagiert sich gemeinsam mit europäischen Plattformbetreibern für mehr Transparenz, gemeinsame Standards und ein grundsätzliches Verständnis für die Rolle des Crowdfundings als alternative Finanzierungsform und die Potentiale für die europäische Wirtschaft und Gesellschaft.

Darüber hinaus forciert das ECN die Europäische Harmonisierung des Crowdfunding Marktes mit dem European Crowdfunding Service Provider Regime (ECSP) als rechtlichen Rahmen. Im europaweiten Ausbau sehen alle Beteiligten sowie die Europäischen Institutionen großes Potenzial für die gesamte Branche. Dabei genießt die Organisation die Unterstützung durch die Europäische Kommission, die sie als Schlüsselbranche für die Verbesserung des Kapitalzugangs für KMU fördert.

Zur Autorin

Christin Friedrich

Geschäftsführerin
Innovestment
Christin Friedrich ist Vorstandsvorsitzende des European Crowdfunding Networks (ECN) und dort unter anderem in der Arbeitsgruppe „Sustainable Finance“ aktiv. Sie ist Geschäftsführerin der 2011 gegründeten digitalen Anlage- und Finanzierungsplattform Innovestment, die sich insbesondere auf die Bereiche Impact Investment, Unternehmertum und Innovation fokussiert. Zudem ist Christin Mitglied im Ausschuss für Innovation & Technologie der IHK Berlin, in dem sie gemeinsam mit anderen Unternehmern eine Digitalisierungsstrategie für Berlin entwickelt. Ihr Management-Studium absolvierte Christin an der Zeppelin Universität in  Friedrichshafen. Danach arbeitete sie für Unternehmensberatungen in Berlin und Hamburg und gründete ein Tourismus-Start-up in Island. Außerdem war sie als Vorstandsmitglied von InvestHorizon tätig, einem Programm der Europäischen Kommission, der kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu Finanzmitteln ermöglicht. Christin ist zertifizierte Finanzanlagenvermittlerin (IHK).
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Autorin
Christin Friedrich
Datum
23. Juli 2020
Themen
Europa, Klimaschutz
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