20.000 € fehlen Amelie und Franziska Wetzlar für den Stall, den sie für ihre seltenen Krainer Steinschafe bauen wollen. Diese sind während des Sommers zwar auf dem Grünland rund um den Milchschafhof Pimpinelle im Oderbruch unterwegs – doch im Winter stehen sie in den alten Kuhställen, die sanierungsbedürftig und arbeitsintensiv sind. Um die Finanzierungslücke zu schließen, haben sich die beiden Landwirtinnen für eine Crowdfunding-Kampagne entschieden: Wer mithilft, ihre „Schafe ins Trockene zu bringen“, bekommt wahlweise Käse oder Schafwolle, kann an Hofführungen teilnehmen oder wird gleich Patin oder Pate eines Schafes.
Landwirtschaftliche Projekte wie das von Amelie und Franziska Wetzlar finden sich bisher nur sehr vereinzelt auf deutschsprachigen Crowdfunding-Plattformen. Es sind vor allem Direktvermarkter, also Bäuerinnen und Bauern, die Crowdfunding-Kampagnen nutzen. Sie realisieren mit Hilfe der Crowd Käsereien und Ställe, aber auch Maßnahmen für den Schutz von Bienen oder den Erhalt von Streuobstwiesen.
Crowdfunding und Solidarische Landwirtschaft
Eine weitaus größere Gruppe der landwirtschaftlichen Crowdfunding-Projekte kommt aus dem Umfeld der sog. SoLaWis (solidarische Landwirtschaft). Für diese communitygetragene Wirtschaftsform (auch: CSA = Community Supported Agriculture) schließt sich eine Gruppe privater Verbraucherinnen und Verbraucher mit einem Hof oder mehreren Erzeugerbetrieben zusammen und teilt die jährlichen Kosten für die Landwirtschaft unter den Mitgliedern auf. Diese bekommen dafür die gesamten Erzeugnisse in regelmäßigen Ernteanteilen. Die einzelnen Produkte erhalten dadurch einen Wert, haben aber keinen Preis mehr. Die Verbraucher*innen übernehmen Verantwortung für den Betrieb und die Landwirt*innen erhalten Planungssicherheit. Solidarische Landwirtschaften wie plantAge in Frankfurt/Oder haben Crowdfunding genutzt, um die Pachtgebühren für das erste Jahr zu sichern und Mitglieder zu gewinnen, andere nutzen das Tool, um kleinere Projekte wie Hühnerställe zu finanzieren. Im vergangenen Jahr konnten außerdem zwei bestehende SoLaWis den Kauf von Land über Crowdinvestingkampagnen auf der noch in Entwicklung befindlichen Plattform Opencrowdinvestzusammen mit der Kulturland eG finanzieren.
Crowdfunding im Lebensmittelhandwerk
Eine dritte Gruppe von Kampagnen, die eng mit dem Bereich Landwirtschaft verknüpft ist, sind Projekte aus dem Bereich des Lebensmittelhandwerks. Hier sind die Grenzen zu den Food-Startups natürlich fließend. Aber Kampagnen wie die der Metzgerei Jäger & Sammler oder auch solche für Kaffee, Bier oder Schokolade nehmen häufig die gesamte Wertschöpfungskette vom Anbau über die Verarbeitung bis hin zum Verbraucher mit in den Blick und binden die oftmals kleinbäuerlichen Erzeuger*innen aktiv mit in die Kampagnen ein.
Das Potential – Dialog, Öffentlichkeitsarbeit, Wertschätzung
Die Kampagne für den Schafstall im Oderbruch zeigt, dass Crowdfunding neben der (Teil-) Finanzierung von Projekten weitere Chancen für landwirtschaftliche Betriebe bietet: Der direkte Kontakt zwischen Projektinitiator*in und Unterstützer*in ermöglicht Austausch und Dialog. Die Kommunikation während der Kampagne ist Öffentlichkeitsarbeit für den Betrieb und führt (bestenfalls) zu mehr Verständnis, Hintergrundwissen und höherer Wertschätzung von Arbeit und Produkten. Besonders in den aktuellen Debatten um Subventionen, Lebensmittelverschwendung, den Einsatz von Pestiziden, Lebensmittelpreisen, Artensterben und Klimakrise ist ein direkter Austausch zwischen landwirtschaftlichen Produzenten und Konsumenten nötiger denn je – Crowdfunding kann eine Möglichkeit sein, von Seiten der Landwirtschaft diesen Austausch anzustoßen oder zu intensivieren. Gleichzeitig ist der Support einer Crowd auch ein deutliches Signal an den Hof und möglicherweise Startpunkt einer stärker solidarisch getragenen Beziehung. Dass sich gute Öffentlichkeitsarbeit durchaus lohnt, zeigt etwa der Blog Hofhuhn.de des Biobauern Ingmar Jaschok, der seine Crowd in seine tägliche Arbeit auf dem Hof involviert und gemeinsam mit ihr das Hofhuhn-Projekt weiterentwickelt.
Die Herausforderungen – verfügbare Zeit, Budgets und die Skepsis der Kund*innen
Egal ob SoLaWi oder Hof mit Direktvermarktung – eine Crowdfunding-Kampagne kostet viel Zeit und ist mit sehr viel Kommunikationsaufwand verbunden. Während dies von den gemeinschaftsgetragenen SoLaWis i. d. R. gut organisiert werden kann, stoßen Bäuerinnen und Bauern mit Arbeitstagen von 12-14 Stunden oft an ihre zeitlichen Grenzen. Auch bei guter Vorbereitung bleibt wenig Raum für die tägliche Kommunikation mit der Crowd. Gleichzeitig sind die Budgets auf Höfen oft so knapp, dass an professionelle Unterstützung nicht zu denken ist. Neben dem engen Zeitbudget kämpfen die Bäuer*innen oft auch mit der Skepsis der bereits bestehenden Kunden. Diese beteiligen sich lieber direkt finanziell, als der Crowdfunding-Plattform ihre Daten zu überlassen. Zudem schätzen viele Verbraucher*innen den persönlichen Kontakt zu den Erzeugerinnen – eine digitale Kampagne sollte daher immer um analoge Kontaktmöglichkeiten wie Hofführungen und Infoabende ergänzt werden.
Ausblick
Crowdfunding bietet neben bereits existierenden Formen gemeinschaftlicher Finanzierung wie Patenschaftsmodellen, Genussrechten, Gutscheinen mit späterer Fälligkeit oder Verbrauchergenossenschaften im landwirtschaftlichen Bereich, vor allem für kleine(re) Betriebe großes Potential. Aktuell wird es vor allem von solidarischen Landwirtschaften genutzt, weil Crowdfunding hier zusätzlich für die Mitgliederwerbung genutzt werden kann und die Projekte von Beginn an crowdbasiert angelegt sind. Es lohnt sich für Bäuerinnen und Bauern, die Dynamiken und Möglichkeiten von Crowdfunding stärker in den Blick zu nehmen. Gleichzeitig können die Erfahrungen etwa aus Genussrechtskampagnen oder dem Direktvertrieb über Hofläden und Abokisten das Thema Crowdfunding bereichern.
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