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Prof. Dr. Roland Strausz im Interview

„Ich erwarte, dass Crowdfunding-Plattformen und VC-Finanzierung miteinander verschmelzen werden“

a theory of crowdfunding prof roland strausz
Im November 2015 hat Prof. Dr. Roland Strausz ein Crowdfunding gestartet, um die Einreichungsgebühr für seine neue Forschungsarbeit zu finanzieren. Titel der Arbeit: A Theory of Crowdfunding – mechanism design approach with demand uncerainty and moral hazard. Während das Crowdfunding erfolgreich war (170 € von 36 Unterstützern), stand für den Wissenschaftler vor allem das Forschungsinteresse im Mittelpunkt der Kampagne. Im Interview berichtet uns der Professor für Volkswirtschaftlehre über die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit und die gesammelten Crowdfunding Erfahrungen. Die aus der volkswirtschaftlichen Theorie abgeleiteten Erkenntnisse, umfassen Aussagen zu den Mehrwerten und Risiken beim Crowdfunding, der Rolle der Plattformen und der Vereinbarkeit mit VC-Finanzierungen.
Von Redaktion am 07. April 2016

crowdfunding.de: Inwieweit schafft Crowdfunding gesellschaftliche Mehrwerte?

Prof. Dr. Roland Strausz: Im Gegensatz zu traditionellen Finanzierungsformen, wie von Banken vergebene Kredite oder die Finanzierung durch Risikokapitalgeber, wenden sich die reward-basierten Crowdfunding-Plattformen bei der Finanzierung direkt an die Konsumenten des vom Unternehmer zu entwickelnden Produkts. Dies hat den Vorteil, dass man aus dieser direkten Konsumentenbeteiligung auf die potentielle Konsumentennachfrage für das noch unbekannte Produkt schließen kann. Durch Crowdfunding werden also zusätzliche Informationen über die Nachfrage ermittelt, mit deren Hilfe man besser beurteilen kann, ob sich die beabsichtigte Investition tatsächlich lohnt. Der gesellschaftliche Mehrwert von Crowdfunding gegenüber anderen Finanzierungsformen besteht daher darin, zusätzliche Informationen über die potentielle Nachfrage des zu entwickelnden Produkts bereitzustellen und damit eine genauere und bessere Finanzierungsentscheidung zu ermöglichen.

Prof Dr Roland Strausz
Prof Dr Roland Strausz

Ein sehr schönes, konkretes Beispiel ist Pebble Watch, ein Projekt, das 2012 von Risikokapitalgebern zunächst abgelehnt wurde, weil sie die Nachfrage als für einen kommerziellen Erfolg zu gering eingeschätzt hatten. Die rege Beteiligung von Konsumenten an der Crowdfunding-Kampagne stellte jedoch klar, dass die Risikokapitalgeber die potentielle Nachfrage ganz erheblich unterschätzt hatten und ein Umdenken setzte ein.

Sogenannte All-or-Nothing-Crowdfunding-Plattformen, wie Kickstarter, nutzen die zusätzliche Information über die Nachfrage sogar direkt für die Finanzierungsentscheidung, weil nur die Projekte finanziert werden, an denen sich genügend Crowdfunder beteiligt haben – die erwartete Nachfrage für das Produkt also so groß ist, dass sich das Projekt tatsächlich lohnen wird.

Folglich verknüpft reward-basiertes All-or-Nothing-Crowdfunding auf sehr innovative Weise die Marktforschung mit der Finanzierung von Projekten: Die Crowdfunding-Kampagne ist gleichzeitig eine Marktforschungsphase, in der das Interesse der Konsumenten am Produkt abgefragt wird. Erst wenn sich herausstellt, dass die Begeisterung der Konsumenten groß genug ist, wird investiert.

Was versteht man unter „Moral Hazard“ und warum kann dies ein Problem beim Crowdfunding darstellen?

Im Rahmen eines Investitionsprojekts beschreibt „Moral Hazard“ die Gefahr, dass ein Unternehmer nicht verantwortungsvoll mit dem Geld seiner Investoren umgeht. Dieses Problem kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und reicht von einem eher harmlosen, unüberlegten Verhalten bis hin zu einer vorsätzlichen Täuschung oder Betrug. In der Tat wird Moral Hazard als das zentrale Problem von Finanzierungsbeziehungen angesehen. Auch der professionelle Risikokapitalgeber („venture capitalist“) ist sich dieses Problems sehr wohl bewusst. Nach dem Prinzip „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ besteht er bei der Finanzierung von Projekten dann auch typischerweise auf direkten Kontroll- und Eingriffsrechten, durch die er das Moral-Hazard-Problem besser beherrschen kann. Da zum Einen der Unternehmer beim Crowdfunding derzeit keine Kontroll- oder Eingriffsrechte abgeben muss und zum Anderen der einzelne Crowdfunder (der Geldgebende, Anm. d. R.) den Unternehmer nur schlecht kontrollieren kann, hat Crowdfunding einen potentiellen Nachteil gegenüber klassischen Investitionsformen.

In Hinsicht auf Ihre erste Frage hat Crowdfunding also den Vorteil, dass man zwar mehr über die potentielle Nachfrage erfährt, aber den Nachteil, dass moralisches Fehlverhalten weniger gut reguliert werden kann.

Laut einer im Dezember 2015 veröffentlichten Studie, schlägt bei 9% aller Kickstarter-Projekte die Versendung der Belohnung fehl. Welche Maßnahmen können Anreize schaffen, dass die Projektstarter nach Abschluss einer erfolgreichen Kampagne die Rewards wie versprochen liefern?

Bei Crowdfunding-Projekten, die noch nicht völlig ausgereift sind, gibt es naturgemäß immer eine Restunsicherheit darüber, ob sie am Ende auch tatsächlich umsetzbar sind und ob die Crowdfunding-Rewards, wie versprochen und geplant geliefert werden können. Eine hundertprozentige Garantie kann man hier nicht erwarten und sie sollte auch nicht verlangt werden. Bei einem fehlgeschlagenen Projekt ist die zu klärende Frage stattdessen, ob der Unternehmer sich tatsächlich angemessen bemüht hat, das Projekt erfolgreich zu Ende zu führen oder ob er doch dem Problem des Moral Hazard unterlag, d.h. das Projekt dann doch weniger verantwortungsvoll durchgeführt hat.

Im Rahmen des Crowdfunding kann man die Anreize für ein verantwortungsvolles Unternehmerverhalten erhöhen, indem die Plattform dem Unternehmer zunächst nur die zur Realisierung des Projekts notwendigen Investitionskosten zur Verfügung stellt und den Rest erst später auszahlt. (Dies ist sogar bereits bei einigen bestehenden Plattformen wie PledgeMusic üblich.) Diese Maßnahme zur Stärkung der Anreize kann noch dadurch unterstützt werden, dass die Plattform den Unternehmer über eine ausreichende Nachfrage zur Durchführung eines erfolgreichen Projekts informiert, das genaue Maß jedoch verschweigt. Dies verstärkt die Motivation des Unternehmers, verantwortungsvoll zu agieren, gerade dann, wenn die Gefahr für unverantwortliches Verhalten am größten ist – eben dann, wenn die Nachfrage für die gewinnbringende Realisierung des Projekts gerade ausreicht.

Inwieweit können Plattformen eine stärkere Rolle als Mittler zwischen dem Projektstarter und der Crowd einnehmen?

Ich denke, dass das Moral-Hazard-Problem tatsächlich die größte Herausforderung der Crowdfunding-Plattformen ist, das sie durch verschiedene Maßnahmen – wie z.B. die gerade erwähnten alternativen Auszahlungsmodelle – einzuschränken versuchen müssen. Gleichzeitig sollten die Plattformen dem Crowdfunder das Problem auch transparent und klar vermitteln. Für den langfristigen Erfolg des Crowdfundings ist es unabdingbar, dem Crowdfunder bewusst zu machen, dass er für ein Produkt zahlt, das sich womöglich gar nicht realisieren lässt und dessen Erfolg zum Teil von moralischem Fehlverhalten beeinträchtigt werden könnte. Ohne dieses Bewusstsein ergeben sich zwangsläufig Enttäuschungen, und ein enttäuschter Crowdfunder wird sich so schnell nicht wieder beteiligen.

Wie sehen Sie als Wissenschaftler die Vereinbarkeit einer Crowdfunding-Kampagne mit einer VC-Finanzierung?

Ich sehe hier einen sehr hohen Grad an Vereinbarkeit. Wie ich im Fazit meiner Forschungsarbeit betone, erwarte ich sogar, dass Crowdfunding-Plattformen und VC-Finanzierung miteinander verschmelzen werden, weil sich dadurch die jeweiligen Vorteile – Informationsgewinnung zur Nachfrage und Eindämmung des Moral Hazard – umsetzen lassen. Meine konkrete Erwartung ist, dass VCs weiterhin die Hauptfinanzierungsquelle für die Entwicklung und Herstellung von Prototypen sein werden, dass jedoch nach Herstellung eines Prototyps ein VC weitere Finanzspritzen nur gewährleistet, wenn eine erfolgreiche, reward-orientierte Crowdfunding-Kampagne stattgefunden hat, die eine positive Erwartung über die potentielle Nachfrage bestätigt. So wird der Abschluss einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne ein typischer Meilenstein für eine dynamische VC-Finanzierung werden.

Sie haben eine eigene Kickstarter-Kampagne gestartet, um die Perspektive des Projektstarters zu erleben und die Gebühr von 110 Euro für das Einreichen Ihrer Veröffentlichung zu finanzieren. Welche Erfahrungen konnten Sie sammeln?

Ich wollte mit meiner Kickstarter-Kampagne vor allem mögliche Probleme auf der Seite des Unternehmers besser verstehen. So habe ich erst durch meine Kampagne erfahren, dass Crowdfunder kurz vor Ablauf der Kampagne ihre finanziellen Zusagen („pledge“) problemlos rückgängig machen können und dass das Eintreiben der Zusagen auch nicht ganz reibungslos funktioniert. Das heißt, bei Crowdfunding ist auch Moral Hazard auf der Seite des Kreditgebers nicht ganz zu vernachlässigen. Die Kampagne hat mir aber auch einfach sehr viel Spaß gemacht, und ich habe viel positives Feedback und auch Lob von Kollegen bekommen.

Vielen Dank für das Interview!

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Autor
Redaktion
Datum
07. April 2016
Themen
Finanzierung, Ökonomie, Wissenschaft
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