Full House in Berlin: Bis auf den letzten Platz besetzt waren die Räume von Sirius Minds beim 4. CrowdCamp des European Crowdfunding Networks (ECN). Dieses Jahr ging es um die Auswirkungen der Blockchain-Technologie auf alternative Finanzierungsformen und damit auch auf das Crowdfunding. ECN-Executive Director Oliver Gajda, Chair Christin Friedrich und Dr. Conny Weber als Co-Leiterin der ECN-Arbeitsgruppe „Exploring Blockchain for Alternative Finance“ luden ein zum offenen Dialog, der umfangreiche Aspekte des Themas auf den unterschiedlichen Ebenen beleuchtete.
Das European Crowdfunding Network wurde 2013 als Interessensvereinigung ins Leben gerufen. Heute ist ein Großteil der europäischen Crowdfunding-Plattformen im ECN vertreten und tauscht sich regelmäßig in verschiedenen Veranstaltungsformaten aus. In Form von Arbeitsgruppen setzen die Mitglieder sich gemeinsam für die Interessen der Branche ein, beispielsweise im Rahmen der Harmonisierung des Europäischen Crowdfunding Marktes (ECSPs) für Equity und Lending-based Crowfunding oder des Co-Matchings für Reward-based Crowdfunding.
Die Entwicklungen in den vergangenen Jahren mit dem Vorkommen von Initial Coin Offerings (ICOs) und des Einsatzes von Blockchain in der Finanzdienstleistung ging auch an der Crowdfunding-Branche nicht vorbei. Mehr und mehr Plattformen experimentieren und sehen ihr Geschäftsmodell auf dem Prüfstand. Viele Fragen sind offen. Um das Thema Blockchain für Alternative Finanzen aus dem Blickwinkel der Crowdfunding-Plattformen zu durchleuchten, wurde im ECN Ende 2018 die gleichnamige Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich aus ECN-Mitgliedern und externen Experten zusammensetzt. Ihr im April 2019 veröffentlichtes Scoping Paper bildete den Rahmen des CrowdCamps.
Vom ICO zum STO: Blockchain-Technologie sorgt für Disruption im Kapitalmarkt
Das erste Panel „Disrupting Alternative Finance with Blockchain“ wurde moderiert von Prof. Dr. Philipp Sandner, der das Frankfurt School Blockchain Center (FSBC) leitet. Insbesondere durch ICOs und Security Token Offerings (STOs) ist die Blockchain-Technologie im alternativen Finanzsektor längst angekommen. Während ICOs im Rückblick eher als hoch spekulatives Experiment zu sehen seien, bedeuten STOs ein völlig neues Finanzinstrument, das global große Finanzierungen zu geringen Transaktionskosten ermöglicht. „Jede Aktie, jedes Wertpapier wird irgendwann mal ein Security Token sein“, so Sandner. Doch noch stecken STOs in den Kinderschuhen.
Alle Podiumsteilnehmer sind sich einig: Eine Regulierung ist unumgänglich. Doch sie bleibe ein „moving target“, so Florian Glatz als Präsident des Blockchain Bundesverbands Bundesblock. Nele Wollert, CMO beim Berliner KYC Start-up Fractal, fordert zudem mehr Aufklärung sowie eine EU-weite Standardisierung. Rechtsanwalt Dalibor Cerny von Visions Network aus Prag betont die Wichtigkeit einer sicheren Digital ID. Auf jeden Fall werden mehr Use Cases gebraucht. Der erste STO mit Bitbond kam für deutsche Verhältnisse sehr schnell, reiche jedoch noch nicht aus, um repräsentative Ergebnisse zu liefern. Philipp Sandner will mehr STOs sehen, am besten gleich 100 gleichzeitig – und noch lieber einen STO-Fonds, diversifiziert und professionell gemanaged. STOs stellen vielleicht nicht das Allheilmittel für alternative Finanzierungsformen dar, werden aber ihren Teil zum Gesamtmarkt beitragen. Und damit sei es erfreulich, dass Deutschland ein STO-Gesetz plant, das den deutschen Standort weltweit attraktiv machen wird, so Florian Glatz.
Kleine und mittlere Unternehmen im Fokus
Volle Unterstützung erhält die Szene von der EU. Dr. Joachim Schwerin von der Europäischen Kommission betont in seiner Keynote „Exploring Blockchain for Alternative Finance: the European Perspective“, dass das Thema Blockchain Teil der „EU Innovation Priorities“ ist und sowohl durch gezielte Informationskampagnen als auch durch die Förderung einer Vielzahl einzelner Projekte unterstützt wird. Die EU investiert hier allein bis 2020 340 Millionen Euro. Er selbst sieht eine logische Entwicklung im Fintech-Bereich seit der Bankenkrise über Crowdfunding bis hin zur Blockchain-Technologie, die die Demokratisierung der Finanzmärkte vorantreibt und KMU neue Chancen eröffnet. Deshalb sollen bestehende und neue EU-Politikschwerpunkte KMU dazu ermutigen, die Blockchaintechnologien zu nutzen und ihr Wissen und ihre Erfahrungen zu teilen. Mit Netzwerken wie der Europäischen Blockkettendienstinfrastruktur (EBSI) und der International Association for Trusted Blockchain Applications (INATBA) schafft die EU grenzüberschreitende Foren.
Um die Bedürfnisse und Herausforderungen von KMU ging es auch im zweiten Panel, das von Christin Friedrich, Geschäftsführerin des Crowdfunding-Pioniers Innovestment moderiert wurde. Das Vermeiden von Intermediären, das Verschlanken von Organisationsprozessen (Diana Rees von ZKSystems) sowie die enorme Kosteneffizienz auch bei grenzüberschreitenden Prozessen (Jens Glaso von BlockBonds) bieten Unternehmen und ihren Kunden enorme Kosten- und Effizienzvorteile.
Artiona Bogo, Blockchain Business Development Manager bei SAP merkt dabei an, dass einfach nicht jedes Unternehmen ein Tech-Unternehmen ist. Nicht alle wollen experimentieren. Deshalb kümmere sich SAP um die Integration der Technologie in bestehende Systeme und erleichtert so die Interaktion ihrer Kunden mit anderen Organisationen in zunehmend dezentraler Form. Dabei stellt sie selbst fest, dass der Begriff Blockchain die Kunden bisweilen verunsichert. Sie hält weitere Aufklärung sowie gemeinsame Standards und Offenheit für Regulierungen daher für wichtig.
Das Panel ist sich einig: Die Blockchain-Technologie wird keine Lösung für alle Herausforderungen darstellen, aber vieles vereinfachen. Gianluca di Pasquale (EY) weist auf die Notwendigkeit von Infrastruktur hin. Um der Vision der erfolgreichen Nutzung der Blockchain-Technologie zu erreichen, müssen die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dafür müssen wir eine Roadmap entwickeln. Eine Vision ohne Roadmap bringe keine Ergebnisse. Diana Rees fordert, möglichst viele neue Anwendungen zu launchen. Denn je mehr es auf dem Markt gibt, desto mehr können adaptiert werden.
Blockchain-Technologie vereinfacht Rewards
Prof. Dr. Heike Hölzner von der HTW Berlin stellte in ihrer Keynote „Token Economics“ als neues, interdisziplinäres Forschungsfeld vor. Je nachdem mit welchen Rechten und Pflichten Token in einer permissionless Blockchain ausgestattet werden, können sie das Verhalten von anonymen Teilnehmern des Netzwerkes positiv beeinflussen. Empirische Erkenntnisse, z. B. aus der Verhaltensökonomie, helfen dabei, besonders effektive Anreizmechanismen zu gestalten. Prof. Hölzner setzt sich für den Wissenstransfer zwischen Wirtschaft und Wissenschaft im Rahmen des Projektes „PABlo“ ein, das vom Institut für angewandte Forschung Berlin (IFAF) gefördert wird. PABlo bringt unter anderem auch Start-ups und KMU in sogenannten “Blockchain-Experience-Labs” zusammen
Dass die Blockchain-Technologie die Incentivierung von menschlichem Verhalten nicht nur ermöglicht, sondern sogar unterstützt, ist ein wichtiger Aspekt der Keynote von Julie Maupin, Director of Social Impact and Public Regulatory Affairs bei der IOTA Foundation. Dadurch entwickle Crowdfunding sich nun zur Sharing Economy weiter. Insbesondere Nachhaltigkeits- oder Umweltprojekte, beispielsweise bei Recycling, profitieren von Rewards. Dadurch bekomme die Technologie das Potential, echte Herausforderungen auf diesem Planeten zu lösen.
Spotlight on: Blockchain Startups
Fünf ausgewählte use cases zeigen: Die Blockchain-Technologie wird bereits in den unterschiedlichsten Bereichen aktiv eingesetzt. Die Auswirkungen auf alternative Finanzierungsformen wird dabei sehr deutlich.
Real Market beispielsweise will Unternehmen den Zugang zu Kapital erleichtern. CEO Dr. Dušan Gajić beschreibt die Zweitmarktlösung für Private Equity sowie die Equity Crowdfunding-Plattform von Real Market. Durch die Verwendung der Blockchain-Technologie können die Kosten um bis zu 80 Prozent reduziert sowie die Dauer der Transaktionen massiv verkürzt werden.
Dass bei Blockchain der Nutzen und nicht die Technologie im Vordergrund stehen muss, beweist Jens Glaso von BlockBonds. Seine mobile Banking-App Spenn ermöglicht Menschen ohne Bankkonto gebührenfreie Finanztransaktionen auf dem Smartphone, beispielsweise auf den Philippinen sowie in Ruanda und Tansania. Unter dem Motto „banking the unbanked“ bietet Spenn finanzielle Inklusion; durch Zusatz- und Botschafterprogramme können die Nutzer zudem Geld verdienen („empowerment by employing“).
Finexity ist einer der Vorreiter bei tokenisierten Immobilien als Investitionsmöglichkeit. Gründer und CEO Paul Hülsmann bietet digitale Investments in Immobilien ab 500 Euro mit einer Laufzeit ab einem Jahr an. So simplifiziert Finexity die Kapitalanlage in Sachwerte – ohne Notar und zu einem Bruchteil der sonst anstehenden Kaufnebenkosten. Mittels der Blockchain-Technologie ist es möglich, die Anteile auf dem eigenen Marktplatz fälschungssicher zu handeln.
Auf Tokenisierung setzt auch die Fundament Group ein Legal-Tech-Dienstleister, der verschiedene Asset-Investments digitalisiert. Florian Glatz und sein Team bieten als one-stop-shop einen Komplettservice für Recht, Technologie und Vertrieb, um Asset-Klassen zu tokenisieren und regulierte Finanzinstrumente für einen neuen, globalen Anlegermarkt zu schaffen. Der erste eigene STO mit Immobilien von einem Volumen von 250 Mio. Euro steht kurz vor der Bewilligung durch die BaFin.
Die vielfach geforderte Digitale ID stellt Blinking sicher. Die zum Patent angemeldete Lösung gibt dem Nutzer die komplette Kontrolle über seine privaten Daten und erlaubt so den sicheren Prozess eines digitalen Onboardings. Somit, so Entwickler, Matija Milekić schafft Blinking die digitalen Grundlagen für das sichere Betreiben und Nutzen von Crowdfunding-Plattformen, Krypto-Börsen und andere Handelsplattformen.
Regulierung: Ja! Aber wie?
Dass eine Regulierung erforderlich ist, liegt auf der Hand und wurde auch von allen Beteiligten gefordert. Wie sie allerdings konkret auszusehen hat, wurde kontrovers diskutiert. Bei der Frage, ob STO wie klassische Assets strukturiert werden können oder ob dafür neue Formen gefunden werden müssen, war sich selbst das dritte Panel „Legal, policy and regulatory aspects for uptake“, moderiert von Tilman Lüder von der Europäischen Kommission, uneinig. Dr. Thomas Dünser, der der Stabstelle Finanzinnovation in Liechtenstein vorsteht und kürzlich das Blockchain Gesetz dort durchgesetzt hat zeigte sich offen für neue Modelle, Graham Dick von Aquis Exchange Europe sprach davon, sich eine Hybridlösung vorstellen zu können.
An Zeiten des Neuen Marktes fühlte sich Robert Michels von Dentons erinnert und und appellierte für ein selbstbewusstes Einschreiten der Aufsichtsbehörden in Europa sowie an eine Gleichbehandlung mit den regulierten Anlageprodukten. Hagen Weiss, Senior Officer der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), vertrat die Position des Finanzmarkt-Regulators, der die Entscheidungen über die Zulassung von Finanzmarktinstrumenten unter Berücksichtigung des politischen Auftrags und der Interpretation der bestehenden Gesetze trifft. Er brachte den Regulierungsgrundsatz “substance over form” ins Spiel, anders ausgedrückt: „If it looks like a duck, swims like a duck, and quacks like a duck, then it probably is a duck.”
Es blieb die Frage im Raum, ob die bestehende Finanzmarktregulierung (Stichworte: MiFID I und MiFID II) den neuen Anforderungen der Digitalisierung standhalten kann oder ob es eine ganz neue Regulierung geben sollte, die die Prinzipien der digitalen Finanztechnologien von Beginn an berücksichtigt.
Was bringt die Zukunft?
Im letzten, von Sanja Ugrčić, Access to Finance Specialist von Cardno Emerging Markets Ltd., moderierten Panel ging es um die technischen Herausforderungen. Dr. Veljko Petrović, Chief Research Officer von Real Market, erinnert an die Anfänge des Internet und traut der Blockchain-Technologie eine ähnliche Revolution zu. Um die komplette Transformation zu schaffen, müsse jedoch noch viel Vertrauen aufgebaut werden.
„Die FinTech-Branche zeigt wie das funktionieren kann, so Blockchain-Pionier Meinhard Benn. Zahlungssysteme wie sein Unternehmen SatoshiPay beruhen auf Technologien, die im Internetzeitalter konzipiert wurden, und seien daher viel sicherer als Online-Zahlungen per technologisch überholter Kreditkarte oder Hausbank.“
Alexis Hamel von der Solaris Bank sieht die Zukunft der Blockchain im Mainstream, auch wenn bis dahin noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten sei. Pavel Kravchenko, Gründer von Distributed Labs, wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Auswüchse, die sich im Zuge des ICO Runs gezeigt hatten, nicht zu ignorieren sein. Es werde Zeit, dass sich die „seriöse“ Industrie den Möglichkeiten annimmt.
Insgesamt glaubt das Podium, dass der private Sektor am stärksten von der Technologie profitieren wird. Fernab von Black Mirror-Szenarien hat sie das Potenzial, die Gesellschaft zu verändern, unabhängiger zu machen und sich durch Tauschgeschäfte und Rewards zu einem sozialeren Miteinander zu verändern.
Ein Zusammenwachsen sieht Prof. Dr. Matthias Klaes von der University of Buckingham in seinem Schlusswort auch in der gesamten Branche: Alternative Finanzierungsmodelle, Distributed Ledger Technologies, Blockchain, Fintech und Tokenisierung werden sich zunehmend überlappen und eine Einheit bilden.
Fazit
Das Potenzial der Blockchain-Technologie für alternative Finanzierungsformen und damit auch für die Crowdfunding-Branche ist riesig. Auch wenn es noch viel Aufklärungsbedarf und Herausforderungen bezüglich der Regulierung gibt, zeigten sich alle Teilnehmer sehr offen dafür, den Wandel aktiv mitzugestalten. Das wurde auch im intensiven Austausch in den Pausen spürbar (passenderweise mit Snacks von Food & Beverages-Startups die über ECN-Mitglied Startnext crowdgefunded wurden) sowie bei der anschließenden Rooftop Afterparty, zu der Dentons und GP Bullhound eingeladen hatten.
Die ECN-Arbeitsgruppe hat die Erkenntnisse der Konferenz bereits am Folgetag verarbeitet. Sie werden mit in die Erstellung eines White Papers einfließen. In den kommenden Monaten bis zur 8. ECN Crowdfunding Convention in Mailand wird die Use Case Analyse erfolgen.
Mehr Informationen unter https://eurocrowd.org.
Dank an die Sponsoren und Partner:
Das 4. CrowdCamp des European Crowdfunding Network wurde unterstützt von RealMarket, Innovestment GmbH, Neofin Hamburg GmbH, Fundament Group und SatoshiPay Ltd. Zu den Partnern gehören das Institut für Angewandte Forschung Berlin IFAF, crowdfunding.de und Dentons.
Fotos: ECN
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