Von Anfang an war Crowdinvesting ein Phänomen, bei dem die tatsächliche Praxis eng mit der Entwicklung des rechtlichen Rahmens verwoben war. Die ersten Formen des Crowdinvestings entwickelten sich gerade in bestehenden Regulierungslücken. Dann verankerte der Gesetzgeber in enger Abstimmung mit den beteiligten Stakeholdern und unter Auswertung wissenschaftlicher Erkenntnisse 2015 mit Erlass des Kleinanlegerschutzgesetzes die „Schwarmfinanzierung“ in § 2a des Vermögensanlagengesetzes.
Mit kürzerer Ankündigungsfrist und daher von weniger stark wahrnehmbaren Diskussionen begleitet gab es auch dieses Jahr wieder zwei Gesetzgebungsvorhaben, die durchaus nachhaltige Anstöße für neue Entwicklungen im Bereich des Crowdinvestings geben könnten. Die Rede ist vom bereits in Kraft getretenen Gesetz zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung und dem auf europäischer Ebene derzeit mitten im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Entwurf einer Verordnung über Europäische Crowdfunding-Dienstleister für Unternehmen.
Endlich – Crowdinvesting mit Wertpapieren
Im Juli diesen Jahres fügte der deutsche Gesetzgeber die §§ 3a bis 3c in das Wertpapierprospektgesetz ein. Dabei handelte es sich zwar um eine rein nationale Maßnahme. Der Hintergrund war freilich europäisch: Der Gesetzgeber musste nämlich das Wertpapierprospektrecht, welches im Gegensatz zum seit jeher rein national geregelten Vermögensanlagenrecht europäisch seit Langem weitgehend harmonisiert ist, an die neue europäische Prospektverordnung anpassen. Ab Sommer 2019 wird die Prospektverordnung vollumfänglich gelten und das Recht der Wertpapierprospekte in der gesamten EU auf eine neue Basis stellen. Weil einige ihrer Regelungen, die den Mitgliedsstaaten nationalen Spielraum bei der Gestaltung von Ausnahmen von der Prospektpflicht einräumen, schon seit Juli diesen Jahres gelten, war es am deutschen Gesetzgeber, den insoweit bestehenden Umsetzungsspielraum gesetzlich auszufüllen.
Mit dem „Gesetz zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung und zur Anpassung weiterer Finanzmarktgesetze“ hat der Gesetzgeber die europarechtlich bestehenden Spielräume weitgehend ausgeschöpft und insbesondere – im Vergleich zur bisherigen Rechtslage: großzügige – Ausnahmen von der Prospektpflicht vorgesehen. Während bisher öffentliche Angebote von Wertpapieren ab einem Volumen von über 100.000 Euro regulär prospektpflichtig waren, gelten Ausnahmen von der Prospektpflicht nunmehr bis zum Emissionsvolumen von 8 Mio. Euro. Unterhalb dieser Grenze besteht ein dreifach abgestuftes Pflichtensystem:
- Emissionen bis zum Gesamtvolumen von 100.000 Euro (zu berechnen über einen Zeitraum von zwölf Monaten) sind wie bisher vollständig von der Emissionsregulierung ausgenommen. Das ist auch sinnvoll. Bei solchen Kleinstemissionen wären schon kleinste Anforderungen unverhältnismäßig. Die praktische Bedeutung solcher Emissionen ist jedenfalls im Wertpapierbereich ohnehin gering, schon allein weil die Abwicklungskosten in der Regel so hoch sind, dass sich derartig kleine Emissionen nicht lohnen.
- Bei Emissionen mit einem Volumen zwischen 100.000 Euro und 1 Mio. Euro muss zwar kein Prospekt, aber ein Wertpapier-Informationsblatt (WIB) angefertigt werden. Die Regelung des WIBs lehnt sich an das bereits aus dem Vermögensanlagenrecht bekannte Vermögensanlagen-Informationsblatt (VIB) an, mit dem Crowdinvestoren bereits vertraut sind. Das WIB soll die Anleger wie das VIB übersichtlich auf bis zu drei Seiten über die wesentlichen Parameter der Emission und die wichtigsten Risiken informieren.
- Schließlich gilt für Emissionen mit einem Volumen zwischen 1 Mio. Euro und 8 Mio. Euro ein noch strengeres Pflichtenprogramm, wenn der Emittent auf die Erstellung eines Prospekts verzichten will. Neben der Veröffentlichung des WIBs ist hier verpflichtend vorgeschrieben, dass diese Emissionen nicht als Eigenemission vertrieben werden dürfen. Vielmehr müssen sie über ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Wege der Anlageberatung oder Anlagevermittlung vermittelt werden. Im Unterschied zur Regelung der Schwarmfinanzierung im Vermögensanlagengesetz muss es sich bei dem vermittelnden Unternehmen nicht zwangsläufig um eine Internetplattform handeln. Auch der Offline-Vertrieb von Wertpapieren ist also insofern privilegiert. Trotzdem waren natürlich typische Crowdinvesting-Plattformen Prototypen für das Konzept des Gesetzgebers. Bei Emissionen zwischen 1 und 8 Mio. Euro gelten schließlich für Kleinanleger die Crowdfinanzierern bereits bekannten Zeichnungsgrenzen, nach denen für Kleinanleger spätestens bei einer Beteiligung von 10.000 Euro Schluss ist. Im Unterschied zum Crowdinvesting-Regime im Vermögensanlagenrecht, wo derzeit nur Kapitalgesellschaften von den Zeichnungsgrenzen ausgenommen sind, sind im neuen Wertpapierrecht sogenannte qualifizierte Anleger von den Zeichnungsgrenzen befreit.
Durch diese Maßnahmen hat der Gesetzgeber ein Crowdinvesting-Regime, wie es bisher nur für Vermögensanlagen bestand, auch im Wertpapierrecht verankert. Dieser Schritt war insofern überfällig, als sich die Wissenschaft weitgehend einig ist, dass Wertpapieremissionen aus Sicht des Anlegerschutzes sogar Vorteile bieten können. Bisher hat das Recht hier eine unerwünschte Steuerungswirkung entfaltet. Denn die vorteilhaften Prospektausnahmen im Vermögensanlagenrecht haben selbst diejenigen Projekte, für die sich grundsätzlich auch eine Wertpapieremission eignen würde, ins Vermögensanlagenrecht abgedrängt.
Zu den möglichen Vorteilen von Wertpapieremissionen für Anleger zählt etwa die Möglichkeit, an Aktiengesellschaften echtes Eigenkapital zu erwerben. Zugegeben – wenige Startups nutzen die Rechtsform der Aktiengesellschaft, und auch für die verbreiteten Immobilienfinanzierungen eignet sich diese Rechtsform eher selten. Trotzdem war schon bisher kein Grund ersichtlich, solche Emissionen zu untersagen. Und in der Tat sieht man bspw. an der kürzlich durchgeführten Finanzierung des Start-Ups Ameria auf Companisto, dass sich eine Aktienfinanzierung durchaus einmal eignen kann.
Neben der Möglichkeit, Aktien zu emittieren, bieten die neuen Regelungen im Wertpapierrecht aber noch weitere Vorteile. Mit der nun möglichen Emission von verbrieften Schuldverschreibungen kommt aufgrund einer bankrechtlichen Sonderregelung nämlich auch das Angebot von nichtnachrangigen Papieren in Betracht. Auch hier gilt zwar wieder, dass die typischen Mezzanine-Finanzierungen von Startups und Immobilienprojektgesellschaften, wie sie derzeit am Crowdinvesting-Markt häufig anzutreffen sind, gerade den Rangrücktritt der Investoren voraussetzen. Es gibt aber auch Finanzierungen, bei denen diese Nachrangigkeit nicht zwingend gewünscht ist. Bisher mussten die Ansprüche der Investoren auf Rück- und Zinszahlung jedoch auch in diesen Fällen aufgrund aufsichtsrechtlicher Gegebenheiten nachrangig ausgestaltet werden. Auch hier hat das bisherige Recht also eine unerwünschte Steuerungswirkung entfaltet, die nunmehr jedenfalls für Wertpapieremittenten zugunsten einer Wahlmöglichkeit eliminiert wird.
Interessant ist die Möglichkeit der Emission nichtnachrangiger Wertpapiere erst recht, weil in letzter Zeit einzelne Gerichte – außerhalb von Crowdinvestment-Konstellationen – die Zulässigkeit der Vereinbarung der auch im Vermögensanlagenrecht typischen Nachrangklauseln mit einem sog. „qualifizierten Rangrücktritt“ per AGB in Zweifel zogen. Gegen entsprechende Zweifel gibt es zwar jedenfalls bei Crowdfinanzierungen gute Argumente. Schließlich hat der Gesetzgeber mit dem Kleinanlegerschutzgesetz gerade die Emission von Nachrangdarlehen privilegiert und damit implizit die AGB-mäßige Vereinbarung eines qualifizierten Rangrücktritts auch bei Produkten für Kleinanleger gebilligt (Eine ausführliche Argumentation hierzu findet sich bei Schedensack, Crowdinvesting, Duncker & Humblot 2018, S. 263 ff. ). Ob diese Argumente auch den Bundesgerichtshof überzeugen, ist allerdings einstweilen unklar, so dass für alle Beteiligten gegenwärtig eine gewisse Rechtsunsicherheit besteht, wenn weiterhin Nachrangdarlehen emittiert werden.
Verordnung über Europäische Crowdfunding-Dienstleister für Unternehmen
Die zweite hier zu diskutierende Rechtsentwicklung ist genuin europäisch. Im März hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine eigene europäische Crowdfunding-Regulierung als Teil des FinTech-Aktionsplans vorgelegt. Seit Anfang November sind auch die Änderungsvorschläge des federführenden Ausschusses des Europäischen Parlaments bekannt, welche die Grundlage für die parlamentarische Beratung bilden.
Die „Verordnung über Europäische Crowdfunding-Dienstleister für Unternehmen“ erfasst sowohl das Crowdinvesting als auch Formen der Kreditfinanzierung für Unternehmen, die häufig zum Crowdlending gezählt werden. Regulierungstechnisch setzt der Kommissionsvorschlag bei den Plattformen als Intermediären an. Das ist konsequent, hat sich doch bereits früh die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Plattformen als Gate-Keeper wichtige Schutzfunktionen erfüllen.
Kern der Regulierung ist die Schaffung einer eigenen Zulassung für Plattformen als „European Crowdfunding Service Provider“ (ECSP). Crowdinvesting-Plattformen sollen mit dieser europäischen Zulassung europaweit Crowdfunding-Dienstleistungen erbringen können, ohne der MiFID II bzw. den entsprechenden umsetzenden nationalen Regelungen zu unterliegen. Dabei erfasst der Verordnungsentwurf als zulässige Crowdfunding-Dienstleistungen sowohl die Anlagevermittlung und das Platzierungsgeschäft in Bezug auf übertragbare Wertpapiere als auch die Vermittlung von Krediten. Nach den Änderungsvorschlägen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung soll auch die Anlageberatung von der Erlaubnis erfasst sein.
Der europäische Gesetzgeber will mit der ECSP-Verordnung aber kein zwingendes Rechtskorsett für alle Crowdinvesting-Plattformen vorgeben. Er will vielmehr ein zusätzliches Regime zur Verfügung stellen. Plattformen, welche die Vorteile des ECSP-Regimes nicht nutzen wollen, etwa weil sie ohnehin rein national operieren wollen oder mit Lizenz als Finanzdienstleistungsinstitut bereits als voll MiFID II-reguliertes Unternehmen europaweit tätig werden, können dies weiterhin tun.
Welches Regulierungssystem sich für eine Plattform anbietet, muss sie anhand ihres Businesskonzeptes selbst beurteilen. Vorteilhaft am ECSP-Regime ist natürlich vor allem die Möglichkeit, europaweit Anleger zu akquirieren. Kritisch ist aus Sicht der Plattformen hingegen unter anderem das bürokratische Antragsverfahren zu beurteilen. Im Verhältnis zur Erlangung einer Erlaubnis als Finanzdienstleistungsinstitut nach § 32 KWG ist der Pflichtenkanon zwar abgespeckt. Gegenüber den schlanken Strukturen der in Deutschland gewerberechtlich erlaubten Vermögensanlagenvermittlung nach § 34f GewO müssen die Plattformen im Erlaubnisverfahren jedoch deutlich umfassender die getroffenen organisatorischen Voraussetzungen und Vorkehrungen darlegen.
Durch diese im Erlaubnisverfahren nachzuweisenden organisatorischen Maßnahmen will der Verordnungsgeber ausreichenden Anlegerschutz sicherstellen. Zu den wichtigsten Maßnahmen des Anlegerschutzes im neuen Regime sollen daneben vor allem eine Geeignetheitsprüfung und ein höchstens sechsseitiges Basisinformationsblatt (Änderungsvorschlag des federführenden Ausschusses im EU-Parlament: höchstens dreiseitig) gehören. Anders als das deutsche VIB muss die Veröffentlichung des Basisinformationsblatts ausweislich des Verordnungsentwurfs nicht behördlich gestattet werden. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss regte allerdings an, über eine Prüfungs- und Gestattungspflicht nachzudenken.
Einer der größten Kritikpunkte am ursprünglichen Verordnungsentwurf aus Sicht der Crowdinvesting-Plattformen könnte sich bald erledigen. Während die Kommission den ECSP nur gestatten wollte, Emissionen bis zu 1 Mio. Euro zu platzieren, sieht der Entwurf des federführenden Ausschusses im Parlament nun eine Erhöhung dieser Schwelle auf 8 Mio. Euro vor. In der Tat ist die Schwelle von 1 Mio. Euro niedrig gewählt, da unklar ist, ob die Plattformen auf Dauer mit solchen Emissionen genügend Einnahmen erzielen können, um ihre Kosten zu decken. Mit dem Vorschlag zur Erhöhung ist allerdings der völlige Gleichlauf zur EU-Prospektverordnung aufgehoben, nach der prospektfreie Emissionen europaweit nur unterhalb von 1 Mio. Euro möglich sind. Da viele Mitgliedsstaaten jedoch ohnehin im Rahmen der erwähnten, von der europäischen Prospektverordnung offen gelassenen Gestaltungsspielräume weitergehende Ausnahmeregelungen etablieren, dürfte sich faktisch ein weitgehender Gleichlauf einstellen.
Insgesamt wirkt der Verordnungsentwurf nach Berücksichtigung der Änderungsvorschläge des Ausschusses für Wirtschaft und Währung deutlich ausgereifter. Dazu trägt auch bei, dass die ursprünglich unmittelbar der ESMA zugewiesene Aufsicht über die ECSP nunmehr den national zuständigen Aufsichtsbehörden obliegen soll. Der Nachteil uneinheitlicher Rechtsanwendung dürfte durch die größere Erfahrung der nationalen Behörden wieder wett gemacht werden. Glücklicherweise wurde im Parlamentsentwurf auch das – bereits im deutschen vermögensanlagenrechtlichen Regime verfehlte – Verbot der Beteiligung der Plattform an den über sie vermittelten Angeboten eingeschränkt. Wenn sich die Plattform an den von ihr vermittelten Emissionen beteiligt, kann dadurch nämlich unter Umständen gerade ein Interessengleichlauf mit den Anlegern hergestellt werden, was unter Anlegerschutzgesichtspunkten wünschenswert ist. Schließlich wurde die zunächst vom Berichterstatter des Ausschusses vorgeschlagene Einbeziehung von ICOs in den Beratungen des Ausschusses wieder verworfen. In der Tat erscheint es vorzugswürdig, statt vorschneller Partikularregelungen bezüglich ICOs einen ganzheitlichen Regulierungsansatz zu verfolgen.
Crowdinvesting 2019
Die weitere Entwicklung 2019 bleibt also spannend. Es wird sich zeigen, inwieweit die ECSP-Verordnung im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch weiteren Änderungen unterworfen wird. Nicht nur der deutsche Bundesrat kritisierte etwa, dass die Anlegerschutzmaßnahmen im Verordnungsentwurfs nicht ausreichend sind, und forderte, die in vielen Rechtsordnungen anerkannten Zeichnungsgrenzen auch für ECSP einzuführen. Die Plattformen werden jedoch noch einige Zeit haben, sich darauf einzustellen: Mit einem Inkrafttreten der Verordnung ist kaum vor Ende 2019 zu rechnen.
Spannend wird auch sein zu verfolgen, wie die Marktakteure die ihnen im Wertpapierrecht nun offenstehenden neuen rechtlichen Spielräume nutzen werden. Insbesondere die starke Anhebung der Prospektschwelle für Wertpapieremissionen auf 8 Mio. Euro lässt erwarten, dass sich hier neue Finanzierungsmechanismen herausbilden. Zwar sind Wertpapieremissionen aufgrund der Verbriefung regelmäßig teurer als Emissionen von Vermögensanlagen und die Plattformen benötigen die im Vergleich zur Gewerbeerlaubnis teurere KWG-Lizenz oder müssen unter ein kostspieliges Haftungsdach schlüpfen. Mit Emissionsvolumina bis 8 Mio. Euro lassen sich jedoch erhebliche Provisionsumsätze generieren, so dass den höheren Kosten auch höhere Verdienstmöglichkeiten entgegenstehen, wenn sich ausreichend geeignete Emittenten bei den Plattformen bewerben. Jedenfalls das Argument des seit MiFID II erhöhten Pflichtenprogramms für Wertpapiervermittler, das prima facie für die gewerberechtliche Zulassung als Finanzanlagenvermittler spricht, dürfte für die Plattformen in Zukunft an Gewicht verlieren. Denn nach dem kürzlich veröffentlichten Entwurf der Zweiten Verordnung zur Änderung der Finanzanlagen-Vermittlerverordnung wird das Pflichtenprogramm auch für nach der Gewerbeordnung zugelassene Vermittler von Vermögensanlagen demnächst erhöht.
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