Über das Crowdfunding
Jörg Diehl sitzt seit seinem 13. Lebensmonat, aufgrund eines seltenen Gendefekts (SMA – Typ 2), im Rollstuhl. Heute ist er Kapitän vom Deutschen Powerchair-Hockey-Team. Noch dieses Jahr möchte er mit seinem Team den Weltmeister-Titel für Deutschland holen.
Dazu braucht er jedoch einen neuen Sportrollstuhl. Kostenpunkt: 14.850 €. Weder die Krankenkassen, noch der Paralympische Sportverband unterstützt die Anschaffung. Also ruft Jörg eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben.
Interview mit Jörg Diehl
Wie bist Du auf die Idee zu dem Crowdunding gekommen?
Ich spiele in der 1. Powerchair Hockey Bundesliga und in der Nationalmannschaft. Um auf dem dortigen Level mitspielen zu können, braucht es einen Top Sportrollstuhl. Diese sind sehr teuer (ca. 15.000 – 25.000 Euro je nach behinderungsbedingten Anpassungen) und die Anschaffung wird weder von den Krankenkassen, noch von Behindertensportverbänden bezuschusst. Kurz vor Saisonende ist dann mein Rollstuhl kaputt gegangen und eine Reparatur hätte sich altersbedingt wirtschaftlich nicht mehr gelohnt.
Mein großer Traum war und ist aber die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2018 in Italien. Wie könnte ich also kurzfristig soviel Geld auftreiben? Sponsoren gibt es in unserer Randsportart kaum und um Geld über Stiftungen zu bekommen, hätte es sehr lange aufgrund der vielen Prüfungsverfahren gedauert. Da zwei Bekannte schon einmal beim Crowdfunding für kleinere Projekte erfolgreich waren, dachte ich mir, ein Versuch sei es wert. Verlieren kann man ja dabei nichts.
Wie hast Du Deine Crowd erreicht?
Da hat mir meine ausgewählte Crowdfunding Plattform fairplaid sehr geholfen. Durch das kostenlose Online-Seminar habe ich viele gute Tipps und Anregungen bekommen. Letztlich habe ich nicht alles eins zu eins übernommen, aber als erste Orientierungshilfe war es perfekt. Um meine Reichweite zu steigern war ich viel in den sozialen Netzwerken aktiv, habe alte Kontakte wieder per E-Mail aufleben lassen. Außerdem habe ich regionale Zeitungen angeschrieben. Auch wenn nur eine Zeitung einen Artikel gebracht hat, war das ein großer Türöffner, denn nur drei Tage später hat sich das SWR Fernsehen gemeldet und einen Bericht für die Landesschau gebracht.
Welche Tipps kannst Du Leuten geben, die ein Crowdfunding starten wollen?
Zunächst sollte man sich einen Überblick über die vielen Crowdfunding-Plattformen machen und sich dann für die beste Lösung entscheiden, wo man das Projekt starten will. Dadurch kann ich z.B. schon im Vorfeld klären, welchen Support mir der Anbieter bringt.
Wichtig empfand ich auch, eine klare Kampagne zu entwickeln mit einem Slogan, der hängen bleibt. Ein Bekannter hat mir geholfen ein professionelles Video zu drehen, um mein Anliegen optisch ansprechend darzustellen. Besonders die sozialen Netzwerke helfen eine gewisse Aufmerksamkeit zu bekommen. Dennoch wird dort in unserer schnelllebigen Zeit gerne zügig über Informationen gescrollt, so dass es auch extrem wichtig war, seine Bekannten und Freunde immer wieder anzusprechen damit die Sache nicht einschläft. Man sollte sich auf jeden Fall ein bis zwei Wochen Zeit nehmen, die Aktion gut vorzubereiten und sich die Unterstützung von Freunden bereits im Vorfeld sichern. Mit der Zeit wächst dein Unterstützerteam immer weiter und Menschen, die man vorher gar nicht kannte, sind plötzlich Feuer und Flamme für das Projekt und aktivieren wiederum ihre Kontakte.
Allerdings sollte man auch keine Erwartungen an seine Freunde haben, das kann zu großen Enttäuschungen führen. Fragen kostet nichts, aber niemand schuldet einem etwas. Wenn man aber nicht fragt und sei es noch so unrealistisch, lautet die automatisch nein. Man ist kein Bettler, wenn man um Unterstützung fragt. Die Menschen haben die freie Wahl zu entscheiden, ob sie wollen oder nicht.
Mein letzter Tipp wäre sich zu überlegen, wie ich meine Reichweite noch weiter steigern kann. Da kann man Blogs oder bekannte Persönlichkeiten ansprechen, ob sie bereit wären, deinen Projektlink zu teilen. Bei Sportprojekten eignen sich natürlich Sportler. Viele sind auf Facebook aktiv und haben tausende Follower. Vielleicht begeistert sich ja jemand für dein Anliegen.
Hatte das Crowdfunding weitere Vorteile für Euch?
Definitv, denn schließlich bin ich so mit vielen Personen aus der Vergangenheit wieder in Kontakt gekommen. Zudem lernt man auch viele neue, tolle Menschen kennen, die einen unterstützen, obwohl sie daraus gar keinen persönlichen Vorteil ziehen. Das zeigt, dass die Menschheit gar nicht so egoistisch und negativ ist, wie man sie manchmal in seinem Alltag wahrnimmt. Ein weiterer Vorteil ist auch, dass meine Sportart Powerchair Hockey dadurch etwas bekannter geworden ist. Sponsoren rennen mir zwar weiterhin nicht die Tür ein, aber immerhin kennen sie jetzt ein paar Leute mehr.
Du hast mehr Geld eingesammelt, als Du für den Sportrollstuhl benötigst. Was passiert mit dem restlichen Geld?
Die Idee war, dass die überfinanzierte Summe als Spende an die Nationalmannschaft gehen sollte, um weitere Trainingslehrgänge zu finanzieren. Allerdings fiel die Summe nicht allzu hoch aus und ich brauchte noch eine nachträgliche Anpassung für meinen Rollstuhl. Somit hat die gecrowdfundete Summe genau für die Anschaffung des neuen Rollstuhls gereicht. Letztlich muss es jeder für sich entscheiden, aber ich finde, man sollte sich nicht an einer Überfinanzierung persönlich bereichern und das Geld lieber dafür verwenden, um andere unterstützenswerte Projekte von anderen Menschen zu realisieren.
Vielen Dank für das Interview, Jörg Diehl! Wir wünschen viel Erfolg bei der Powerchair Hockey WM 2018!