crowdfunding.de: Wie seid Ihr damals auf die Idee gekommen Startnext zu gründen?
Tino Kreßner: Wir haben Startnext vor zehn Jahren gegründet, um eine vielfältige Kultur- und Kreativlandschaft ohne Gatekeeper zu ermöglichen. Künstler:innen und Kreative verbringen immer wieder viel Zeit sich und ihr Vorhaben für unterschiedliche Förder- und Sponsoring-Programme selbst zu beschreiben. Dabei sind sie von wenigen Entscheidern in den Stiftungen, Wirtschaftsförderungen oder Unternehmen abhängig. Via Crowdfunding erreichen Künstler:innen und Kreative ihre Zielgruppe direkt, ohne Umwege und bürokratische Förderanträge. Fans werden zu Unterstützer:innen und stärken somit direkt eine vielfältige Kultur- und Kreativlandschaft.
Das Crowdfunding-Prinzip war damals in Deutschland ja noch gänzlich unbekannt. Wie schwer war es die ersten Projekte und Unterstützer von dem neuen Finanzierungkonzept zu überzeugen?
Zu Beginn lag unser Fokus vor allem auf Projekte in dem Bereichen Musik, Film und Literatur. Hier haben die Projektstarter:innen oft bereits Fans und ihre Zielgruppe weiß, was sie mit dem nächsten Projekt erwarten kann. Crowdfunding ist somit eine einfache Möglichkeit diese Vorhaben vorzufinanzieren. Im ersten Jahr waren wir daher vor allem auf Filmfestivals, Musik-Veranstaltungen und Literatur-Messen unterwegs.
In den letzten Jahren sind in Deutschland eine Menge Crowdfunding-Plattformen an den Start gegangen, von denen eine Vielzahl wieder der Betrieb einstellen musste. Ihr konntet Euch als feste Größe zu etablieren und habt mit einem Funding-Volumen von über 100 Mio. Euro wirklich was bewegt. Was ist Euer Geheimrezept?
In den beiden Jahren 2010 und 2011 haben wir schnell gemerkt, dass die Zeit für Crowdfunding reif ist. Online-Payment etablierte sich langsam sowie diverse Social Media-Plattformen auf denen die Künstler:innen und Kreativen Kontakt mit ihrer Crowd halten konnten. Wir haben in den zehn Jahren sehr viel Mechanismen ausprobiert und haben uns im deutschsprachigen Raum, immer wieder als Pionier für Crowdfunding positioniert. Bei Mechaniken, wie die Startphase, unseren Crowdfonds, cofunding und unser Pay-What-You-Want (PWYW) waren wir in Europa jeweils die ersten, die hier mutige Akzente im Crowdfunding-Prozess gesetzt haben. Unser Mut und die ständige Experimentierfreude haben sich über zehn Jahre ausgezahlt. Wir haben Vieles wieder verworfen, aber auch Prinzipien wie cofunding und PWYW als Alleinstellungsmerkmal stark ausgebaut.
Mehr als 10.000 Projekte wurden mittlerweile über Startnext finanziert. Welche Projekte sind Dir in besonderer Erinnerung geblieben?
Ich bin stolz, dass wir im Bereich der Unverpackten Supermärkte mit Startnext eine Bewegung auslösen konnten. Mit „Original Unverpackt“ ist 2014 das erste Projekt online gegangen und heute zählen wir über 100 unverpackte Supermärkte, die diesem Vorbild auf Startnext gefolgt sind bzw. sich inspirieren haben lassen. Ganz persönlich motiviert mich die Entwicklung unserer Kategorie „Social Business“ in der Projekte gestartet sind, die sich einer gesellschaftlichen oder ökologischen Herausforderung angenommen haben und diese mit unternehmerischen Mitteln lösen möchten. Besonders in Erinnerung sind mir hier geblieben: Kuchentratsch, Cucula und die Kiron University.
Die Vielzahl der finanzierten Projekte steht ja auch für unglaublich viel Erfahrung. Was sind Deine wichtigsten Tipps für Projektstarter?
Die wichtigsten Tipps haben wir bei uns im Handbuch oder Blog zusammen gefasst. Darüber ist mein wichtigster Tipp im Vorfeld die Perspektive zu wechseln und die Zielgruppe (nicht besten Freunde) zu fragen, warum sie das Projekt unterstützen würden und warum nicht. Mit welchen Worten würden sie es weiter kommunizieren und was haben sie nicht verstanden? Diese Fragestellungen habe ich nicht, wenn ich einen Fördermittelantrag schreibe, sondern normalerweise erst viel später, wenn ich mit meinen Leistungen auf den Markt gehe. Crowdfunding zwingt Starter:innen bereits sehr früh, sich mit dieser Frage zu beschäftigen.
Welche Vorteile bieten Crowdfinanzierungen für Projektstarter und die Gesellschaft?
Mit Startnext glaube ich heute nach zehn Jahren, dass wir andere Arten von Unternehmen fördern, die langfristig für die Gesellschaft besser sind. Unsere Unterstützer:innen auf der Plattform fragen nicht nach Rendite oder kurzfristigen Rückzahlungen. Sie geben Geld für ein Projekt, weil sie das Produkt bzw. die Idee gut finden. Somit bekommen Gründer:innen von denjenigen Geld, die auch gleichzeitig ihre Kund:innen später sein werden. Diese Unterstützer:innen fragen nicht zuerst nach Businessplänen, sondern hinterfragen Produktionsbedingungen, interessieren sich für die verwendeten Materialien und die Menschen hinter dem Projekt. Wir fördern somit nachhaltige Gründungen, reflektierte und transparente Produktionsprozesse und geben Starter:innen die Chance, ihre Idee in den Fokus zu stellen – nicht ihre geplante Rendite.
Wie weit etabliert ist Crowdfunding Deiner Ansicht nach mittlerweile in Deutschland, siehst Du Potential für mehr?
Ich denke, dass Crowdfunding in der Gründer- und Kreativszene sich etabliert hat. Mit dem aktuellen Mechanismus (Alles-Oder-Nichts-Prinzip) und dem Anspruch für jedes Vorhaben eine eigene Kommunikations-Kampagne aufzusetzen, sehe ich keine Wachstumssprünge mehr. Gerade dieses Jahr hat uns mit Corona gezeigt, dass Crowdfunding aber noch in viel mehr Bereichen funktionieren kann. Crowdfunding kann helfen, schnell, transparent und unbürokratisch Bürger:innen und Kund:innen mit Unternehmen zusammen zu bringen. Nicht immer braucht es eine Mindestsumme oder Gegenleistungen. Wir sehen unsere Aufgabe inzwischen auch darin, nicht nur bei neuen Ideen zu unterstützen, sondern auch vorhandene Projekte und Unternehmen zu erhalten.
Startnext ist zunächst als gemeinnützige GmbH gestartet. Mittlerweile firmiert Ihr als reguläre GmbH, seid aber dafür ein zertifiziertes B-Corp Unternehmen. Als Gründungsmitglied der Stiftung Verantwortungseigentum setzt Ihr Euch für eine Erweiterung der Rechtsform der GmbH ein. Was treibt Euch dazu an?
Probleme wie den Dieselskandal, Steuersparmodelle und die Vermüllung unserer Weltmeere sehe ich als Folgen der Gewinnmaximierung im Kapitalismus. Mit Startnext machen wir uns für eine neue Form des Wirtschaftens stark, bei der die Lösung von gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderung wichtiger ist als die Gewinnmaximierung. Geldgeber auf Startnext interessieren sich nicht für kurzfristige Rückzahlungen oder Gewinnausschüttungen. Wir können damit eine neue Art von nachhaltigen und reflektierten Gründer:innen fördern. Mit unseren eigenem Weg und Erfahrungen können wir für viele junge Teams Vorbild sein.
Was bewegt Euch aktuell? Was können wir von Startnext in den nächsten 10 Jahren erwarten?
Nach diesen ersten zehn Jahren bewegt uns ganz konkret die Frage, wie sich Crowdfunding und wir als Startnext in den nächsten Jahren weiter entwickeln werden. Dazu haben wir uns als Team zwei Wochen in einem digitalen Format Zeit genommen, um an den Visionen für die nächsten zehn Jahren zu arbeiten. In meinem Team habe ich mich konkret mit der These beschäftigt, dass der Erfolg von Unternehmen und Projekten 2030 nicht mehr ausschließlich von ökonomischen Faktoren abhängig ist. Viel stärker werden ökologische und soziale Faktoren in den nächsten zehn Jahren eine Rolle spielen.
Abschlussfrage: In einem Satz, was macht für die „Beauty of Crowdfunding“ aus?
Die „Beauty of Crowdfunding“ ist für mich, dass die Macht über die Vergabe von Kapital nicht in den Händen von wenigen Menschen liegt, sondern genau bei denjenigen, de ich selbst eh als Zielgruppe oder Bürger:innen für mein Vorhaben gewinnen möchte.
Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die nächsten 10 Jahre!
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